Medikamentencocktail mit Risiken - Ältere nehmen oft viele Pillen
Berlin (dpa) - Für viele Senioren gehört die Plastikbox mit der täglichen Pillenration zum Alltag. Der Arzneimittelreport 2013 warnt vor den Risiken eines solchen Medikamentencocktails.
Viele Ältere nehmen einer Studie zufolge einen riskant großen Mix verschiedener Medikamente ein. Ein Drittel der Menschen ab 65 Jahren bekommt fünf oder mehr verschiedene Mittel zur gleichzeitigen Einnahme verschrieben, wie der Arzneimittelreport 2013 der Krankenkasse Barmer GEK zeigt.
Das berge Gefahren, warnt die Studie, die am Dienstag (11. Juni) in Berlin vorgestellt wurde. Patienten könnten leicht den Überblick verlieren, Wechselwirkungen würden wahrscheinlicher. Zur Abhilfe fordert die Kasse eine bessere Vernetzung zwischen den verschiedenen Ärzten und Apothekern - und ein offenes Auge der Betroffenen.
Mehr als jeder zehnte Ältere nimmt den Angaben zufolge sogar mindestens acht Wirkstoffe. Laut den Experten sind diese teilweise unnötig, zugleich leide aber auch die regelmäßige Einnahme unter der großen Menge. „Dass das die Akzeptanz der Patienten einschränken kann, liegt auf der Hand“, sagte der stellvertretende Vorstandschef der Kasse, Rolf-Ulrich Schlenker. Grundlage der Studie sind die Daten der neun Millionen Versicherten der Barmer GEK. Die Aussagen zu den Älteren beziehen sich auf das zweite Quartal 2012.
„Wir sprechen in der Pharmakologie davon, dass man relativ gut drei bis vier Wirkstoffe aushalten kann“, sagte der Bremer Versorgungsforscher Gerd Glaeske, einer der Autoren der Studie. Alles darüber sei problematisch.
Glaeske sieht das Problem vor allem in der mangelnden Abstimmung zwischen verschiedenen Ärzten: „Jeder hat im Schnitt vier Ärzte, die aus ihrer Sicht wahrscheinlich auch alle das Richtige tun.“ Doch das passe nicht immer zusammen, „weil dann zu viele Arzneimittel zusammenkommen und dann natürlich das Problem von Wechselwirkungen auftritt“. Ärzte müssten deshalb wissen, was ihre Kollegen dem Patienten bereits verordnet haben.
Die Barmer GEK setzt als Konsequenz auf eine bessere Vernetzung der Behandlungsdaten, die dann jeder behandelnde Arzt abrufen könnte: „Wir brauchen die elektronische Gesundheitskarte, das elektronische Rezept und die elektronische Patientenakte“, sagte Schlenker. Die bereits millionenfach verteilte Gesundheitskarte ist bei Medizinern umstritten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung kritisiert, das IT-Projekt nütze nur den Interessen der gesetzlichen Krankenkassen. Sie hatte Ende Mai gedroht, aus dem Vorhaben auszusteigen. Glaeske empfahl Patienten, selbst Buch über ihre Medikamente zu führen - und Ärzte und Apotheker bewusst darauf anzusprechen.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller hielt entgegen, im Alter steige das Risiko für viele Krankheiten. „Für die Patienten ist es ein Segen, dass man diese inzwischen medikamentös behandeln oder ihnen vorbeugen kann“, teilte Forschungs-Geschäftsführer Siegfried Throm mit. Das gehe aber oft nur mit der dauerhaften Einnahme mehrerer Medikamente. Listen und Klassifikationen könnten helfen, Wechselwirkungen zu vermeiden.
Bei der Behandlung junger Menschen und Demenzkranker prangern die Autoren der Studie einen zu häufigen Griff zum Rezeptblock an. Glaeske kritisierte, Ärzte verschrieben Demenzkranken oft bestimmte Schlaf- oder Beruhigungsmittel (Benzodiazepine). So würde etwa in manchen Pflegeheimen versucht, mit Medikamenten das nicht vorhandene Personal zu ersetzen. „Pflegerische Leistungen werden ausgetauscht, wenn Sie so wollen, durch billige Arzneimittel.“
Auch bei der Verschreibung einiger Psychopharmaka an Kinder und Jugendliche sieht der Report Grund zur Besorgnis. 2012 wurden ihnen demnach gut 40 Prozent mehr Antipsychotika verordnet als 2005 - etwa 3 von 1000 Unter-19-Jährigen. Dabei seien nicht mehr psychische Störungen diagnostiziert worden, sagte Glaeske.