Nur Rumsitzen bringt wenig - Mit Bewegung lernt es sich besser
Braunschweig (dpa/tmn) - Wer beim Lernen immer nur regungslos am Tisch sitzt, ist womöglich nicht besonders erfolgreich. Denn das Gehirn arbeitet effektiver, wenn es mehrere Anforderungen gleichzeitig erfüllen muss.
Lernen wird daher am besten mit Bewegung verknüpft.
Dass Körper und Geist, Bewegung und Lernen eng zusammen hängen, ist unübersehbar: Ein Kleinkind nimmt zuerst über Tasten, Greifen und Spüren Kontakt zur Außenwelt auf. Aber auch Lesen, Sprechen und Schreiben funktioniert nur durch die komplexen Bewegungen von zahlreichen Muskeln - und durch einen funktionierenden Gleichgewichtssinn. Die Überzeugung, dass Lernen ein ganzheitlicher Prozess ist und die Konzentration auf das kognitive Lernen zu kurz greift, vertreten Pädagogen seit vielen Jahren. Auch Experten der Neurologie unterstützen diese Ansicht mittlerweile.
Wie konkret sich Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit und andere kognitive Fähigkeiten von Bewegungen beeinflussen lassen, wird in vielen Studien und wissenschaftlich begleiteten Schulprojekten untersucht. Einige von ihnen nehmen speziell den Gleichgewichtssinn unter die Lupe. „Alle mir bekannten Studien stimmen darin überein, dass bewegtes Lernen die Lernmotivation unterstützt und steigert“, sagt Reiner Hildebrandt-Stramann, Professor für Sport- und Bewegungspädagogik an der Technischen Universität Braunschweig. „Insofern kann man mit gewisser Plausibilität sagen: Ein gut strukturierten Unterricht kombiniert mit viel Bewegung kann eventuell zu besseren Lernerfolgen führen.“ Sportwissenschaftliche Studien hätten in dieser Hinsicht jedoch keine eindeutigen Belege erbracht.
Bewegung kann beim Lernen auf ganz unterschiedliche Weise eingebaut werden. „Mittlerweile ist gut erforscht, dass ein Schultag effektiver verläuft, wenn in der ersten Stunde Sportunterricht ist“, erläutert Prof. Manfred Spitzer, Psychiater und Leiter des Transferzentrums für Neurowissenschaften und Lernen an der Universität Ulm. Eine ähnliche Wirkung habe es, wenn Kinder morgens zur Schule laufen oder mit dem Fahrrad fahren. Allerdings hält die Wirkung des Schulwegs kaum bis zur sechsten Stunde an. Deshalb müsse der Schultag selbst rhythmisiert werden, betont Spitzer. „Neben Sport kann dabei auch Musik, die nicht nur angehört, sondern auch gemacht wird, eine wichtige Rolle spielen.“
Eine unverzichtbare Ergänzung sind ausgiebige Pausen. „Kleinere Kinder bewegen sich intuitiv. Sie hüpfen, toben, balancieren und trainieren damit automatisch auch das Gleichgewicht“, sagt Frank Bittmann, Professor für Sportmedizin an der Universität Potsdam. Entsprechende Spielgeräte auf dem Pausenhof können dazu animieren.
In vielen Schulen werden nach wie vor Tische und Stühle verwendet, die vorrangig für das Stillsitzen im Frontalunterricht konstruiert sind. „Dabei ist der Gleichgewichtssinn im Prinzip außer Kraft gesetzt“, sagt Hildebrandt-Stramann. „Das lässt sich jedoch durch Mobiliar, wie es beispielsweise im Modell "Das bewegte Klassenzimmer" verwendet wird, verändern.“ Dort sitzen die Kinder zum Beispiel auf Sitzmöbeln in Form von Halbwalzen. Einige Schulen, die am Projekt „Schnecke - Bildung braucht Gesundheit“ in Hessen teilnahmen, haben ihre Klassenräume mit Minitrampolins oder Wii-Fit-Balance-Boards mit Gleichgewichtsspielen ausgestattet. Die Schüler nutzten diese Angebote unter Aufsicht der Lehrer regelmäßig.
Ideal ist ein enger zeitlicher Zusammenhang von Bewegung und Lernen, lautet die vorherrschende Meinung der Experten. „Die Zahl der Nervenzellen im Gehirn ist von Geburt an Bord“, erklärt Bittmann. „Aber die verbindenden Fasern zwischen ihnen sind erst in geringem Umfang vorhanden. Sie werden durch gleichzeitige Anforderungen an die Gehirnbereiche aufgebaut.“ Je mehr Gehirnbereiche gleichzeitig aktiviert werden, umso mehr Nervenfasern werden gebildet, umso komplexer werde das Netzwerk. Das wiederum beeinflusse die Hirnleistung.
Hier setzt zum Beispiel das hessische Programm „Beweg dich, Schule!“ an. Dorothea Beigel vom Kultusministerium in Wiesbaden gibt ein Beispiel: „Wenn im Geschichtsunterricht der weiterführenden Schule Zeiträume wie die Dauer eines Krieges abgefragt werden, wird vereinbart: Bei der niedrigen Zahl gehen alle in die Hocke, bei der hohen Zahl recken sich alle auf die Zehenspitzen.“
Sportmediziner Bittmann weist allerdings darauf hin, dass nicht jeder Schüler der gleiche Lerntyp sei. „So mancher könnte sich daher beim Lernen durch derartige Anforderungen eher gestört fühlen.“ Trotzdem kann es nicht schaden, es auch bei den Hausaufgaben mal mit etwas mehr Bewegung zu versuchen - womöglich bleibt dann doch mehr hängen als beim regungslosen Büffeln am Schreibtisch.