Opfer von Ärztepfusch - Wenn Mediziner Fehler machen

Frankfurt/Main (dpa) - Eine falsche Diagnose oder eine schief gelaufene OP - Auch Ärzte machen Fehler. Für Patienten kann das dramatische Folgen haben. Im juristischen Kampf um Entschädigung müssen Opfer von Ärztepfusch oft einen langen Atem beweisen.

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Als Maike Schmidt eines Abends vom Fernsehsessel aufsteht, ist plötzlich ihr rechter Fuß gelähmt. Sofort bringt ihr Mann sie zum ärztlichen Notdienst. Könnte das ein Schlaganfall sein? Dann zählt jede Minute. Doch die Ärztin schickt sie nach kurzer Untersuchung wieder nach Hause - mit dem Tipp, sich einfach einen Tee zu kochen und einen Film zu schauen. Ein Fehler mit fatalen Folgen. Zwei Tage später kippt Schmidt im Bad um. In der Klinik wird schnell klar: Das war ein Schlaganfall.

Hätte die erste Ärztin richtig gehandelt, dann wären die Chancen für eine Genesung der heute 61-Jährigen aus dem Rhein-Main-Gebiet deutlich besser gewesen. Das hat auch ein Gericht so gesehen und der Patientin 150 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz zugesprochen.

Ein Behandlungsfehler von vielen: Die Gesamtzahl in der Branche lässt sich laut Bundesgesundheitsministerium nur schätzen. Die Annahmen reichen von 40 000 bis 170 000 Fällen pro Jahr. Nur ein kleiner Teil davon landet vor Gericht. Vermuten Patienten, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat, können sie sich zunächst an Schlichtungsstellen der Landesärztekammern wenden. 2013 wurden dort knapp 8000 Fälle aktenkundig, wie die Ärztevereinigung Hartmannbund erklärt. 1860 Mal sei ein Behandlungsfehler ermittelt worden, der einen Anspruch auf Entschädigung begründet habe.

„Für den Betroffenen ist jeder Einzelfall tragisch“, betont der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt. „Wenn Sie allerdings die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte tagtäglich nehmen und diese in Relation setzen zu den Behandlungsfehlern, dann ist das schon ein sehr überschaubarer Bereich.“

Die Frankfurter Anwältin Michaela Bürgle hat sich auf Arzthaftungsklagen spezialisiert. Sie hat in den vergangenen rund zehn Jahren beobachtet, dass bei einigen Patienten „ein gewisses Anspruchsdenken“ zugenommen hat. „Ich muss auch welche abweisen, die sind nur unzufrieden mit der Art der Behandlung.“ Der Arzt schulde ja seinem Patienten keinen Erfolg der Therapie. Die Menschen, die sich mit einem ernsthaften Verdacht bei ihr meldeten, seien allerdings teils traumatisiert, ihr Vertrauen zu Ärzten sei schwer erschüttert.

Joachim Köster hatte eine monatelange Leidensgeschichte hinter sich, bevor er gegen einen Arzt vor Gericht zog - und 6000 Euro erstritt. Der 53 Jahre alte Feuerwehrmann aus dem Nordschwarzwald ließ sich wegen neurologischer Probleme an der Hand operieren. Doch statt der erhofften Linderung erlitt er schlimme Schmerzen. „Ich konnte die rechte Hand kaum noch benutzen, hatte kein Gefühl mehr in den Fingern“, erzählt er.

Als Köster der „Das wird schon“-Beschwichtigung seines Arztes nicht mehr glaubt, geht er zu einem anderen Mediziner. Nach einer erneuten OP wird klar, dass der erste Eingriff schief gelaufen war. Vor Gericht entschuldigt sich ein Anwalt im Namen des ersten Arztes. „Das war für mich das Wichtigste“, sagt Köster. Der Mann sollte zu seinem Fehler stehen.

„Das Urteil ist eine Art Trost, auch wenn es mir meine Gesundheit nicht zurückgibt“, sagt Maike Schmidt. „Das Geld macht vieles im Leben leichter.“ Die 61-Jährige ist früher gerne Bergwandern gegangen, organisierte Hilfstransporte nach Rumänien und Russland, war beruflich in vielen Ländern unterwegs. Seit dem Schlaganfall kann sie ihre linke Hand kaum benutzen, das Laufen fällt schwer.

Aber Maike Schmidt gibt nicht auf, sie kämpft um jeden Schritt. Einen vier Kilometer langen Spaziergang schafft sie inzwischen - auf Asphalt und mit Pausen. „Wenn das Wetter schlecht ist, gehe ich auf mein Laufband“, erzählt sie. Großen Rückhalt bekomme sie in der Familie. „Sogar meine sechsjährige Enkelin sagt oft: „Komm Oma, wir machen Therapie“.“

Direkt entschuldigt hat sich die Ärztin nicht bei Maike Schmidt. „Das war mir auch nicht wichtig“, sagt die 61-Jährige. Mit Medizinern und Kliniken als Gegenpartei macht Anwältin Bürgle nach eigenen Worten insgesamt eher schlechte Erfahrungen. „Es scheint zu dieser Berufsgruppe zu gehören, uneinsichtig zu sein.“ Prozesse werden nach der Einschätzung der Anwältin oft bewusst verschleppt.

Auch Köster berichtet, er habe teils wochenlang auf eine Antwort der Versicherung gewartet. Der Feuerwehrmann konnte vier Wochen nach der zweiten OP wieder arbeiten, hat inzwischen nur noch minimalste Einschränkungen. „Damit kann ich gut leben“, sagt er.