Schwerhörige Kinder lernen schlechter sprechen
Münster (dpa/tmn) — Hörstörungen treten bei Kindern relativ häufig auf. Manche kommen bereits mit einer Schwerhörigkeit zur Welt. Moderne Therapien im Baby- und Kleinkindalter verhindern Entwicklungsdefizite und ermöglichen vielen ein ganz normales Leben.
Wenn Säuglinge nach sechs Monaten aufhören zu brabbeln oder Kleinkinder mit zwei Jahren noch nicht sprechen und nur auf frontale, laute Ansprache und nicht auf Geräusche aus der Umgebung reagieren, sind sie möglicherweise schwerhörig. Das kann angeboren oder erworben sein. „Etwa zwei bis drei von 1000 Kindern kommen bereits mit einer höhergradigen Schwerhörigkeit zur Welt“, erläutert Robin Hübner, Facharzt für Phoniatrie, Pädaudiologie und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Münster. Die Früherkennung und richtige Behandlung sind das A und O, um den kleinen Patienten eine weitgehend normale Entwicklung zu ermöglichen.
„Eine frühe Behandlung der Schwerhörigkeit innerhalb des ersten Lebensjahres ist wichtig, um irreversible Defizite in der Hörbahnreifung zu verhindern“, sagt Hübner. „Erfolgt eine Stimulation der Hörbahn im ersten Jahr nicht oder nur unzureichend, kann dies später nicht nachgeholt werden.“ Eine nicht therapierte Schwerhörigkeit in dieser besonders sensiblen Phase führt dazu, dass die Kinder nicht mehr richtig hören lernen und die Sprachsignale nicht angemessen analysieren können. Das Sprachvermögen und letztlich die gesamte Entwicklung des Kindes bleiben dauerhaft beeinträchtigt.
Bei angeborener oder frühkindlicher Schwerhörigkeit liegt häufig ein Defekt des Innenohrs, genauer der Hörschnecke (lateinisch Cochlea), vor - eine sogenannte Innenohrschwerhörigkeit. Wird diese diagnostiziert, ist zwar keine Heilung möglich. Moderne kindgerechte Hörgeräte können jedoch vielen kleinen Patienten zu einem guten Hörergebnis und einer normalen Entwicklung verhelfen. Ihr Einsatz ist schon bei ganz jungen Säuglingen möglich. Technisch ließen sich alle Hörtestverfahren in diese Hörgeräte programmieren und somit an das Gehör des Kindes anpassen, erläutert Jens Pietschmann, Hörgeräteakustiker in Frankfurt am Main.
Bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder vollständiger Ertaubung reicht ein Hörgerät allerdings zumeist nicht mehr aus. In diesen Fällen ist der Einsatz von speziellen elektronischen Innenohrprothesen, sogenannten Cochleaimplantaten, eine erfolgversprechende Therapieoption. In der Regel erfolgt eine Implantation ab etwa einem Jahr. Vorab werden die Kinder mit Hörgeräten versorgt, um einer verminderten Hörentwicklung bestmöglich vorzubeugen.
Berührungsängste sollten Eltern ablegen. Jeder Tag, den sie warten, sei in der Hörentwicklung nicht mehr aufzuholen. „Die Entwicklung der Hörfähigkeit ist mit dem dritten bis vierten Lebensjahr abgeschlossen“, betont Pietschmann.
Ob Kinder mit Schwerhörigkeit Hörgeräte, eine Hörprothese oder eine andere Therapie benötigen, hängt von der Ursache der Schwerhörigkeit ab. Im Kleinkindalter neu auftretende Schwerhörigkeiten sind am häufigsten durch Paukenergüsse bedingt. Dabei sammelt sich Flüssigkeit im Bereich des Mittelohrs an. Dadurch ist die Weiterleitung des Schalls zum Innenohr gestört, das selbst aber normal funktioniert.
„Wenn Kinder im Alter von zwei Jahren schlecht sprechen, stellen wir häufig fest, dass eine Schallleitungsstörung vorliegt, also das Gehör für die verzögerte Sprachentwicklung verantwortlich ist“, erklärt die Kinderärztin Mechthild Vocks-Hauck in Berlin. Auch diese Hördefizite werden meist im Rahmen der U-Untersuchungen entdeckt. Bei länger bestehenden Paukenergüssen wird das Trommelfell meist operativ geöffnet und dort ein sogenanntes Paukenröhrchen eingelegt. Damit lässt sich sicherstellen, dass sich das Kind gesund entwickelt.