Street-Food-Trend in Helsinki: Einmal Restaurantchef spielen

Helsinki (dpa) - In einer Currywurst-Schale hat Christoph Schwarz (38) ein kleines Laugenbrötchen aufgespießt. Zwischen den Hälften klemmt eine Scheibe Leberkäse. Als „Smoked Burger "Bavarian Style"“ preist ein Schild den Happen an dem Stand an, den Schwarz und drei Freunde in einem Park mitten in Helsinki aufgebaut haben.

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Dahinter brutzeln Bratwürste auf dem Grill. „Wollt ihr probieren?“ Mit seinen „German Tapas“ sind Schwarz und seine Freunde extra für diesen Tag aus Berlin und Kiel angereist. Denn es ist „ Restaurant Day“ in Helsinki. Der Tag, an dem jeder Gastronom spielen darf.

Den Vanha kirkkopuisto, den „alten Kirchpark“, durchdringt ein wilder Mix an Gerüchen. Nach würzigen Thai-Nudeln, frischen Zimtschnecken und kross gebratenem Fleisch am Spieß. Viermal im Jahr riecht es hier so, wenn beim „Restaurant Day“ Hunderte Imbissstände für einen Tag aus dem Boden sprießen. Und wortkarge Finnen mit Wildfremden mit Leichtigkeit ins Gespräch kommen.

„Das ist eine Gelegenheit, das Eis zu brechen“, sagt der Spanier Antonio Fernandez, der seit einem Jahr in Helsinki lebt. Neben dem Stand mit den deutschen Happen servieren der 40-Jährige und seine Frau Laura Bravo mediterrane Blinis - Eierkuchen mit Mozzarella. Auf der gegenüberliegenden Seite des Parks betreiben Alexandra (16), Emilia (13) und Aneth (13) die „3 Girls Bakery“. „Wir lieben es, zu backen, und es macht Spaß, zu verkaufen“, sagen die Teenager.

Sie stünden nicht dort, hätte Timo Santala nicht schon immer von einer Fahrrad-Bar geträumt. Die Bürokratie, die sich vor dem Finnen auftürmte, als er seinen Traum in die Tat umsetzen wollten, ärgerte Santala - und brachte ihn dazu, die Regeln zu umgehen. Mit seinem Freund Antti rief er 2011 den „Restaurant Day“ ins Leben - ohne vorher um Erlaubnis oder Lizenzen zu fragen. „Viele Dinge passieren nicht, weil sie so streng reguliert sind“, sagt der 34-Jährige.

Weil sich ganz Helsinki beim „Restaurant Day“ amüsierte, sahen die Behörden gutmütig weg. Seitdem zieht das Straßenfest Tausende Besucher an - und steigt in über 30 Ländern. In Kanada, Russland oder den Niederlanden feiern die Menschen den „Karneval des Essens“. Und Helsinkis Bürgermeister nutzt das Event als Werbung für seine Stadt.

In Deutschland haben sich dagegen erst wenige mit dem „Restaurant Day“-Fieber angesteckt - vielleicht, weil das Event nicht offiziell organisiert wird, meinen Trendforscher. „Es wird kaum irgendwo Marketing gemacht“, sagt Claudia Muir, Ressortleiterin „Food & Lifestyle“ bei der Zeitschrift „Essen & Trinken“. „Es hat noch nicht wirklich eine Mobilisierung stattgefunden.“ Wer mitmachen will, meldet sich unbürokratisch im Internet an, macht über Facebook Werbung - oder baut sein Pop-up-Restaurant einfach so auf.

Wer Fragen zum „Restaurant Day“ hat, kann sich hierzulande an ehrenamtliche Botschafter wie den Berliner Patrick Neumann wenden. Die Lieblingsfrage der Deutschen bei dem Thema laute allerdings „Darf man das?“, erzählt Neumann. Ärger mit den Behörden habe es zwar deswegen noch nie gegeben. Aber der Restaurant Day bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. Ein Grund, weshalb organisierte Märkte wie der „ Street Food Thursday“ in der „Markthalle 9“ in Berlin in Deutschland derzeit mehr Erfolg haben. Die Märkte mit authentischer internationaler Küche für wenig Geld erobern nach Trendsettern wie London oder Kopenhagen die deutschen Großstädte.

Doch dahinter steckt ein anderer Gedanke, meint die Food-Forscherin Hanni Rützler vom Zukunftsinstitut: „Mit den Street Food Festivals wird auch ein Geschäft gemacht. Beim Restaurant Day geht es mehr um die Experimentierfreude.“ Gründer Santala sieht seine Erfindung noch nicht einmal unbedingt als Essens-Event. „Essen ist einfach das perfekte Mittel, um Menschen zusammenzubringen“, sagt er.

„Es ist als wenn man eine Party organisiert und nicht weiß, wer kommt“, sagt Maarit Kutöharju. Die 50-Jährige steht hinter einem kleinen Tisch im Stadtteil Kallio. Darauf steht ein Teller mit Quiche und belegten Broten. Unter einem Tuch verstecken sich in einer Plastikschüssel Zimtschnecken, gebacken von Kutöharjus Mutter Eila. Die 76-Jährige ist längst Rentnerin. Doch heute steht sie mit ihrer Tochter in ihrem kleinen Coffee Shop hinter der Theke.

„Der Reiz besteht für viele Leute darin, dass man unkompliziert ohne irgendwelche Etikette gutes Essen bekommen kann“, sagt Redakteurin Muir - ein Trend, der sich auch in der Restaurantszene gerade durchsetze. Bei Events wie Restaurant Day, Street-Food-Märkten und anderen Pop-up-Restaurants spiele zudem die „Magie des Vergänglichen“ eine Rolle, meint Trendforscherin Rützler - eigentlich ein uraltes Phänomen: „Früher waren das die Wochenmärkte, die die Menschen fasziniert haben.“

In Helsinki tauchen kleine Restaurants auch dort auf, wo man sie nicht vermutet. In einer Seitenstraße am Rande der Innenstadt verkaufen Saku Loukonen (25) und sein Lebensgefährte Kos Dao (25) vietnamesische Pfannkuchen.

Rützler ist überzeugt, dass die Begeisterung für den Restaurant Day auch noch nach Deutschland überschwappen könnte: „Die Idee ist sehr am Puls der Zeit - vorübergehend andere Plätze in ein Restaurant zu verwandeln“, sagt die Trendforscherin. „Manche Entwicklungen kommen von Norden nach Süden und brauchen ihre Zeit, hier zu landen.“