Tabuthema Inkontinenz: „Viele isolieren sich“
Köln (dpa) - Jeder zehnte Mensch in Deutschland hat mit Inkontinenz zu kämpfen. Die Deutsche Kontinenz Gesellschaft spricht von einer Volkskrankheit. Sie versammelt sich nun in Köln zu ihrem Jahreskongress.
Viel bildlicher geht es nicht: Mit Kurzvorträgen wie „Trocken werden“ oder „Land in Sicht“ will die Deutsche Kontinenz Gesellschaft (DKG) über die „Volkskrankheit“ Inkontinenz aufklären. Der Bedarf ist da: Fast elf Prozent der Deutschen leben laut DKG mit Harn- oder Stuhlinkontinenz. „Das ist kein Frauen-Problem und auch kein Alten-Problem“, sagt Krankenschwester Angelika Sonnenberg, Leiterin einer Inkontinenz-Selbsthilfegruppe in einem Kölner Krankenhaus. Am Donnerstag (3. November) beginnt der DKG-Jahreskongress in Köln.
Sonnenberg spricht von jungen Frauen Mitte Zwanzig, die mit Inkontinenz in ihre Sprechstunde kämen. Jedoch wagten viele Erkrankte noch nicht einmal einen Arztbesuch, weil die Krankheit ein solches Tabuthema sei. Das werde besonders deutlich, wenn sie auf Messen mit ihrem Infostand über das Thema informiere: „Man darf die Leute nicht ansprechen - aber den Flyer, den wollen sie alle!“
Die Ursachen für eine Erkrankung sind vielfältig. So können die Gründe für das Einnässen bei Kindern eine zu kleine Blase sein, falsche Trinkgewohnheiten oder ein chronischer Harnwegs-Infekt, wie die DKG erklärt. Bei Erwachsenen kann ein beschädigter Schließmuskel beim Lachen oder Niesen zu unkontrolliertem Urinabgang führen oder auch eine schwache Blasenmuskulatur Inkontinenz verursachen. Die eindeutige Diagnose kann nur der Facharzt stellen.
Auf ihrer Internetplattform bietet die DKG für Betroffene Informationsangebote: Neben „Trink- und Pipi-Protokoll“ für Kinder und „Stuhltagebuch“ für Erwachsene gibt es dort auch eine Anleitung zum Beckenbodentraining. Ausflugsbroschüren und Tourentipps sind ebenfalls darunter, die immer auch auf die stillen Örtchen in Reichweite verweisen.
Wie wichtig solche Hilfestellungen sind, erklärt Heinz Kölbl, Professor an der Universität Mainz und zweiter Vorsitzender der DKG: Zahlreiche Erkrankte würden durch ihre Scham vom gesellschaftlichen Leben abgehalten und verkröchen sich zu Hause: „Viele Betroffene isolieren sich selbst. An Inkontinenz stirbt man nicht - aber sie kann einem das Leben nehmen.“
Dabei ließen sich viele Arten der Krankheit erfolgreich behandeln, sei es durch Gymnastik, Medikamente oder eine OP, erklärt Kölbl: „Die Behandlungspalette wird immer größer.“ Diese Dinge müssten heute „nicht mehr schicksalshaft hingenommen werden“. Zumindest aber ließen sich die Symptome lindern - beispielsweise mit professionellen Einlagen, sagt Krankenschwester Sonnenberg.
Dass durch den Kongress in Köln nun auch das Medieninteresse an dem Thema steigt, freut den Arzt - und auch Sonnenberg. Denn die Aufklärung über Inkontinenz sei für die Information und Unterstützung der Betroffenen das A und O, sagt sie: „Man muss die Bevölkerung damit überschwemmen.“