Kliniken unter Kostendruck Viele Kreißsäle schließen - Wird Kinderkriegen zum Problem?

Hannover/Berlin (dpa) - Wenn eine Geburtshilfe-Station geschlossen werden soll, formiert sich Protest - ganz gleich ob im westfälischen Meschede, auf der Ostsee-Insel Fehmarn oder in Burgwedel bei Hannover.

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Doch in den meisten Fällen demonstrieren Bürger vergeblich.

Seit 1991 ging in rund 40 Prozent der Kreißsäle in Deutschland das Licht aus, während die Geburtenrate in gleichen Zeitraum nur um etwa 12 Prozent sank. „Es ist eine dramatische Entwicklung“, sagt die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes, Martina Klenk. „Wenn sich die Bedingungen zur Berufsausübung nicht verbessern, wird sich das Problem verschärfen.“

Aktuell gibt es in vielen ländlichen Regionen kein Krankenhaus mit Geburtshilfe mehr. Beispielsweise im fast 2000 Quadratkilometer großen Landkreis Diepholz in Niedersachsen. „Bei Anfahrtswegen von bis zu 50 Kilometern haben Frauen große Sorgen, es rechtzeitig zur Klinik zu schaffen“, erzählt Jutta Meyer-Kytzia. Lange hat die Hebamme im Kreißsaal gearbeitet, jetzt kümmert sie sich als Freiberuflerin um Geburtsvorbereitung und -nachsorge. „Ich muss mindestens die Hälfte der Anfragen von Schwangeren ablehnen“, sagt sie. Nach Schließung der ehemals vier Geburtshilfe-Stationen im Kreis, seien viele Kolleginnen abgewandert.

Die bundesweit rund 700 verbliebenen Geburtskliniken klagen häufig über Personalnot. Nach einer vom Hebammenverband in Auftrag gegebenen Umfrage betreuen angestellte Hebammen aktuell drei bis fünf Frauen während der Geburt gleichzeitig. „Aufgrund der enormen Arbeitsverdichtung und des Zeitdrucks wollen viele Kolleginnen nicht mehr im Kreißsaal arbeiten“, berichtet Klenk. Vielerorts müssen Kliniken ihre Kreißsäle vorübergehend schließen. „Frauen, die mit Wehen vor der Tür stehen, werden abgewiesen. Wir kennen das aus München, Stuttgart oder Freiburg“, sagt die Verbandspräsidentin.

„Ein Drittel der Krankenhäuser in Deutschland macht Verluste. Vielfach bleibt den Häusern nichts anderes übrig, als die personalintensive Geburtshilfe-Station zu schließen“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKGEV), Georg Baum. „Am Donnerstag entscheidet sich, ob das Sterben der Geburtshilfe weitergeht.“

Im Gemeinsamen Bundesausschuss steht dann der Sicherstellungszuschlag auf der Tagesordnung. Mit diesem Instrument sollen Krankenhäuser im ländlichen Raum, die für Notfälle wichtig sind, ergänzende finanzielle Mittel bekommen, um überleben zu können. Aus Sicht der DKGEV sollten auch Geburtshilfestationen auf diese Weise unterstützt werden. „Die Krankenkassen lehnen dies ab. Das halten wir für nicht gerade familienfreundlich“, sagt Baum.

Nach Schließung von Kreißsälen auf den zu Schleswig-Holstein gehörenden Inseln gibt es inzwischen einen Lösungsversuch. Bewohnerinnen von Föhr, Sylt und Fehmarn können bis zu zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ein Zimmer auf dem Festland beziehen. Dieses „Boarding“-Konzept sei eine freiwillige Leistung der gesetzlichen Krankenkasse, sagt Florian Unger vom Verband der Ersatzkassen. Wenn der niedergelassene Gynäkologe die medizinische Notwendigkeit für eine vorzeitige Einweisung ins Krankenhaus sehe, bedeute das aber eine stationäre Aufnahme und sei kein Fall fürs „Boarding“.

Hebammen halten die „Boarding“-Lösung allerdings nicht für optimal. „Kaum ein Kind wird am errechneten Termin geboren“, sagt Klenk. „Sie brauchen ein mindestens vierwöchiges Zeitfenster.“ Etwa weil sie ihre Kinder nicht aus dem gewohnten Umfeld reißen wollen, harren viele Schwangere so lange wie möglich an ihrem Wohnort auf der Insel aus. Erst im September brachte eine Sylterin ihre kleine Tochter im Rettungswagen auf dem Autozug in Richtung Festland zur Welt. Sie wollte ins Krankenhaus nach Husum.