Volkskrankheit Herzleiden: Experten warnen vor zu vielen OPs
Berlin (dpa) - Verengte Blutgefäße am Herzen führen die Statistik der Todesursachen an - höchste Vorsicht ist bei der Volkskrankheit also geboten. Trotzdem sieht eine neue Studie Anzeichen, dass Kliniken Betroffene zu oft einschlägigen Behandlungen unterziehen.
Die jährlich gut 335 000 Klinik-Behandlungen wegen verengter Herzkranzgefäße sind laut einer neuen Studie womöglich teilweise überflüssig. Es gebe wahrscheinlich zu viele solche Eingriffe, sagte die Mitautorin des neuen Krankenhausreports der Krankenkasse Barmer GEK, Eva Maria Bitzer, am Dienstag (22. Juli) in Berlin. Insgesamt gelte, dass die Zahl der Behandlungen auch deshalb zunehme, weil die Kliniken die entsprechenden Preise bezahlt bekommen wollten, sagte Kassen-Vizechef Rolf-Ulrich Schlenker. „Man muss gegensteuern“, forderte er von der Politik, die derzeit eine Klinikreform plant.
Gegen verengte Herzkranzgefäße stieg vor allem die Zahl der Eingriffe, bei denen mit Medikamenten beschichtete Stents in die Arterie eingeführt werden. Sie nahm von 2005 bis 2013 um 227 Prozent auf gut 204 000 zu. Aufwendige Bypass-Operationen am offenen Herzen nahmen um 24 Prozent auf 53 000 ab. Immer seltener eingesetzt werden unbeschichtete Stents - 48 000 Mal im vergangenen Jahr. Ballons, die in der Arterie aufgebläht werden, kamen 30 000 Mal zum Einsatz.
Die Implantation von Stents, kleinen Gittergerüsten, ist vergleichsweise schonend - daher würden auch immer mehr Risikopatienten und Ältere damit versorgt, die früher unbehandelt geblieben seien, sagte Schlenker. Doch erfüllt die Methode laut dem Report ihre Erwartungen nicht. Denn jeder fünfte Patient müsse sich innerhalb von zwölf Monaten erneut einer Behandlung unterziehen.
Die Experten wiesen darauf hin, dass es insgesamt weniger Durchblutungsstörungen am Herzen und entsprechende Behandlungen gebe. Die Gründe seien, dass weniger Menschen an Bluthochdruck oder zu hohen Blutfettwerten litten und Betroffene besser behandelt würden. Deshalb seien Zweifel daran angebracht, das die steigende Zahl der Behandlungen zur Erweiterung der Gefäße gerechtfertigt sei.
Der Verdacht der Kasse: Kliniken setzten Stents hunderttausendfach auch deshalb ein, weil sie damit ihre Umsätze steigern wollten. Denn die Implantate selbst seien im Einkauf günstiger geworden, so Schlenker. Der Preis für einen Eingriff von rund 5500 Euro könne zu hoch angesetzt sein, meinte Bitzer.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband wies auf Geld-Interessen der Kliniken zugunsten von planbaren Eingriffen hin. Das gelte auch für die Herz-OPs, sagte seine Gesundheitsexpertin Ilona Köster-Steinebach. „Es stellt sich daher die Frage, ob mit einer Operation immer die beste Behandlungsoption gewählt wird.“ Zu Herz-Eingriffen könnten Medikamente die Alternative sein, mehr Bewegung, Gewichtsverminderung und Physiotherapie. Patienten sollten darauf achten, dass ihnen die Alternativen erläutert würden.
Insgesamt stieg die Zahl der Klinikbehandlungen laut dem neuen Report weiter an - binnen eines Jahres um 1,3 Prozent auf 207 Behandlungen je 1000 Versicherten. Die Liegedauer in der Klinik sank weiter auf im Schnitt 7,6 Tage. Sinkende Klinikaufenthalte gibt es etwa bei Krebs oder Muskel-Skelett-Erkrankungen. Nur bei psychischen Störungen und Sucht ist die Dauer deutlich gestiegen - seit 2005 um 36 Prozent.