Welt-Asthma-Tag: Hoffnung auf „Bauernhofeffekt“

München (dpa) - Wonnemonat Mai. Es grünt und blüht - und ein Teil der Menschheit niest. Die Nase läuft, die Augen tränen, aber wer geht schon wegen ein bisschen Schnupfen zum Arzt? Doch der scheinbar harmlose Heuschnupfen kann in vier von zehn Fällen zu Asthma führen.

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Am 5. Mai ist Welt-Asthma-Tag.

Pollenflug beschert gerade vielen Betroffenen schwere Zeiten. Umweltverschmutzung und Klimawandel verschärfen das Problem: Die Pollen werden immer aggressiver - und fliegen bei steigenden Temperaturen schon fast rund ums Jahr. Studien zufolge steigt die Zahl der Asthmatiker weltweit.

Oft wird die Erkrankung nicht ernst genommen. „Wenn man die Entzündung nicht kontrolliert, wird das Gewebe steifer, Folge ist eine eingeschränkte Lungenfunktion“, warnt Carsten Schmidt-Weber, Direktor des Zentrums Allergie & Umwelt (ZAUM) von Technischer Universität und Helmholtz Zentrum München. „Das allergrößte Problem ist bei Allergie die Bagatellisierung. Deshalb werden die Allergiker immer mehr allein gelassen mit ihrer Erkrankung.“

Obwohl es immer mehr Patienten gibt, nimmt in Deutschland die Zahl der behandelnden Praxen ab, ergab eine Studie 2013. Schmidt-Weber nennt das besorgniserregend. „Das Problem ist, dass es sich für Ärzte nicht lohnt, einen Allergiepatienten zu behandeln.“ Denn das bedeutet hohen Zeitaufwand bei geringer Bezahlung. „Es ist Detektivarbeit. Ärzte können sich das fast nicht mehr leisten.“

Langwierige Tests, oft gar ein Krankenhausaufenthalt, sind nötig, um das spezielle Allergen herauszufinden: die unterschiedlichsten Pollen von Bäumen und Gräsern, Tierhaare oder Hausstaubmilben. Oder das Unkraut Ambrosia, das mit Vogelfutter aus Nordamerika eingeschleppt wurde und sich über Ungarn in ganz Europa ausgebreitet hat.

Ein ausgeglichenes Immunsystem ignoriert diese Allergene. Die Abwehr des Asthmatikers aber bekämpft den vermeintlichen Feind mit aller Kraft: Die Atemmuskulatur verkrampft, die Schleimhaut der Bronchien schwillt - Atemnot. Zur Behandlung bleiben Hyposensibilisierung oder Medikamente wie Cortisonpräparate. Es gibt auch nichtallergisches Asthma. Die Gene spielen eine Rolle, aber auch Umweltbedingungen wie Schimmel, Feuchtigkeit oder das Rauchen. Der schlimmste Fall laut Schmidt-Weber: „Wenn Menschen nicht mehr auf eine Therapie ansprechen. Sie verursachen 80 Prozent der Gesundheitskosten des Asthmas.“

Kinder leiden fast doppelt so häufig an Asthma wie Erwachsene, jedes zehnte Kind ist betroffen. Denn bei ihnen sind die Atemwege noch besonders anfällig - und sie sind häufig erkältet. Bei der Hälfte der Kinder klingen die Beschwerden somit in der Pubertät ab.

Auch bei den kleinen Patienten steigen die Zahlen, nur in einigen Gegenden scheint ein Peak erreicht. „Es sind Risikofaktoren dazugekommen wie Verkehr, und Schutzfaktoren haben abgenommen“, sagt Bianca Schaub, Oberärztin am Haunerschen Kinderspital des Klinikums der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Die Mediziner dort wiesen in den „Bauernhofeffekt“ nach: Kinder, die auf dem Bauernhof groß werden, viele ältere Geschwister haben oder früh in einer Krippe sind, erkranken seltener an Asthma und Allergien. Das Team an der Asthma- und Allergieambulanz des Kinderspitals sieht einen Zusammenhang zwischen dem Kontakt mit vielfältigen Mikroorganismen. Damit werde das Immunsystem frühzeitig gestärkt.

Nun arbeiten die Forscher fieberhaft daran, die Erkenntnisse zu den positiven Folgen mikrobieller Vielfalt in den ersten Lebensjahren zu nutzen. „Wie kann man das einem großen Teil der Bevölkerung zugutekommen lassen“, sagt Schaub. Eine Idee: Baby-Nahrung, etwa Milchpulver, Bestandteile zuzusetzen, die den mikrobiellen Vielfalt auf dem Land ähneln. Voraussetzung: „Es muss sicher sein, es darf keine Infektion verursachen.“ Frühestens in zehn Jahren könnte möglicherweise eine solche frühkindliche „Immunisierung“ gegen Allergien mit der Babynahrung möglich sein, schätzt Schaub.

Trotz steigender Patientenzahlen melden die Ärzte Fortschritte, die Zahl der Todesfälle geht hierzulande zurück. Starke Allergiker - auch jene, die auf Lebensmittel oder Bienenstiche mit allergologischem Schock reagieren - können sich mit einer Spritze selbst helfen.

Vieles ist bis heute ungeklärt. Mediziner hatten gehofft, dass mit besseren Luftwerten die Zahl der Asthmatiker sinken werde - das Gegenteil war der Fall. Rätselhaft bleibt auch die hohe Zahl der Asthmatiker in Großbritannien: Gut 15 Prozent der Menschen sind dort betroffen, doppelt so viele wie in Deutschland. Vielleicht sind die grünen Wiesen schuld. „Die Graspollen sind in England ein großes Problem. Wir wissen aus unseren Messungen, dass der Allergengehalt in den Pollen in England besonders hoch ist“, sagt Schmidt-Weber. Das sei aber nur eine These. „Es wäre dringend nötig, dass wir mehr Forschung betreiben.“

Während Ärzte Alarm schlagen, fragen Stadtplaner und Politiker bei der Begrünung der Städte kaum nach Pollenflug und Allergien. Birken und Erlen, aber auch Pappeln und Weiden gelten teils als hochallergen - und zieren weiter Parks und Straßenränder. „Ich verstehe nicht, dass gerade in den urbanen Räumen diese Bäume nicht eingeschränkt werden und dass wir uns nicht damit beschäftigen, allergiearme Pflanzen zu züchten“, sagt Schmidt-Weber. Er hält auch gesetzliche Beschränkungen für möglich: „Ich weiß nicht, ob Birken und Erlen so schön sind, dass wir sie überall in den Städten herumstehen haben müssen.“