Zucker, Sirup & Co. - Zuckerfallen auf die Schliche kommen
Berlin (dpa/tmn) - Hannah Frey war süchtig nach Süßem, als sie beschloss, etwas zu ändern. „Ich hatte vor einigen Jahren ständig das Verlangen, etwas Süßes zu essen“, sagt sie. „Davon wollte ich wegkommen.“
Auch heute isst sie noch ab und an ein Stück Kuchen - aber meist selbst gebacken und ohne Haushaltszucker. Das heißt nicht, dass Frey ein Leben ohne Genuss und Süßes führt. „Ich benutze andere Süßungsmittel wie Trockenfrüchte oder Kokosblütenzucker“, sagt sie. Seit dem Verzicht auf Haushaltszucker fühle sie sich energiegeladener und vitaler. „Und ich bin sehr selten krank“, fügt die Autorin des Blogs projekt-gesund-leben.de hinzu.
Andere Menschen sind radikaler und verzichten auch auf Fruchtzucker. „Das ist in meinen Augen nicht sinnvoll“, sagt die Gesundheitswissenschaftlerin. Früchte haben viele wertvolle Inhaltsstoffe wie Vitamine und Mineralstoffe, die ein wichtiger Bestandteil unserer Nahrung sind, wie auch Martina Tischer sagt. Die Ernährungsberaterin („100 Tage zuckerfrei“) praktiziert ebenfalls nicht den totalen Zuckerverzicht. Sie meidet auch den raffinierten, zugesetzten Zucker. „Obst enthält zwar Fruchtzucker, doch davor brauchen wir keine Angst zu haben. Obst enthält ganz viele wichtige Vitalstoffe, darauf sollten wir keinesfalls verzichten“, sagt sie.
Zucker in Süßigkeiten, Kuchen und Co. sei dagegen „nichts als leere Kalorien, darauf können wir gut und gerne verzichten“. Mit den zuckerfreien Tagen habe sich ihr Wohlbefinden gesteigert: „Die Haut sah frischer aus, ich war weniger müde, und der Heißhunger auf Süßes verschwand ganz“, sagt Tischer. „Grundsätzlich hatte ich nicht das Gefühl, auf irgendetwas verzichten zu müssen.“
Doch aller Anfang ist schwer. Zwar achten schon viele auf den Zuckergehalt in Lebensmitteln, doch nicht immer steht der schwarz auf weiß auf dem Etikett. Man verbringt durchaus mehr Zeit damit, sich mit seinem Ernährungsverhalten auseinanderzusetzen, sagt Tischer. Denn auch die versteckten Süßmacher müssen unter die Lupe genommen werden: Im Zutatenverzeichnis tauchen viele Substanzen auf, die zum süßen Geschmack beitragen, aber als solche nicht sofort zu erkennen sind. Die Verbraucherzentrale hat in einer Untersuchung insgesamt 70 solcher Begriffe für Süßungsmittel gefunden. Doch nur die wenigsten Verbraucher können alle Süßmacher enttarnen und den tatsächlichen Zuckergehalt eines Produkts einschätzen, heißt es.
Der unabhängige Ernährungsinformationsdienst aid weist beispielsweise darauf hin, dass alle Zutaten, die wie Glucose, Laktose oder Maltose auf „-ose“ enden, auf Zuckerarten hinweisen. Es handelt sich dabei etwa um Fachbegriffe von Traubenzucker, Milchzucker und Malzzucker. Auch Zutaten mit der Bezeichnung „Sirup“ - wie Glukose- oder Fruktosesirup - deuten auf Zuckerhaltiges hin. Zum süßen Geschmack tragen auch Magermilchpulver, Gerstenmalzextrakt, Dicksaft, Fruchtextrakt oder -püree, Molkenerzeugnis und -pulver bei. Auch Herzhaftes wie etwa Fertig-Fleischsalat kann Süßmacher enthalten.
„In unserer heutigen Fastfood-Gesellschaft muss man schon selber aktiv daran mitarbeiten, dass man frisches und natürliches Essen von guter Qualität zu sich nimmt“, sagt Tischer. Habe man sich erst einmal darauf eingestellt und sein Essen entsprechend organisiert, sei eine Ernährung ohne weißen Zucker aber durchaus alltagspraktikabel. Die Zucker-„Gefahren“ lauern meist nicht in den eigenen vier Wänden, sondern etwa wenn man im Restaurant oder im Café etwas isst oder trinkt. „Entweder man schaut sehr genau, was man bestellt, oder man meidet es, außerhalb zu essen und bereitet sich sein Essen selbst vor und nimmt es unterwegs mit“, rät Frey.
Anfänger sollten nicht sofort alles Süße streichen. Damit überfordert man sich leicht. Besser: Schritt für Schritt Zuckerhaltiges reduzieren und durch „gesunde Süße“ wie Obst ersetzten - den Schokoriegel zum Beispiel durch eine Banane.
Mit Ersatz-Süßungsmitteln wie etwa Honig oder Agavendicksaft sollte man sparsam umgehen. Die natürlichen Produkte sind zwar besser als Industriezucker, die Kalorienzahl und der Schaden für die Zähne sind aber ähnlich hoch. Ein einfacher Austausch von Zucker ist also nicht besonders sinnvoll, die Naturprodukte sollten eher sparsam wie Gewürze verwendet werden. „Ein Löffelchen davon naschen oder den Tee damit süßen ist wunderbar“, meint Tischer. Ansonsten solle man seinen Gaumen aber lieber daran gewöhnen, von der extremen Süße wegzukommen. Der Anfang sei schwierig, aber nach einiger Zeit nehme das Verlangen nach Zucker ab, berichten Frey und Tischer. „Je weniger Süßes man isst, desto weniger möchte man auch haben“, sagt die Expertin. Kuchen und Co. empfinde man bald als „viel zu süß“.
Schwierig sei zuckerfreie Ernährung für Kinder. „Kindern das Naschen zu verwehren ist kontraproduktiv: Es bewirkt nur, dass sie dann vielleicht versuchen, heimlich zu Süßigkeiten zu kommen“, sagt Tischer. Ihnen fehle außerdem das Gesundheitsbewusstsein und die vollständig entwickelte Willenskraft eines Erwachsenen. Wichtig sei deshalb die Vorbildwirkung der Eltern. „Wenn Kindern Obst schmackhaft gemacht wird, kann es gut als Snack eingesetzt werden“, sagt Tischer. Und gegen einen Keks ab und an von Oma oder ein Kuchenstück auf dem Kindergeburtstag haben auch Ernährungsexperten nichts.
Literatur:
Martina Fischer: 100 Tage zuckerfrei. Ein Selbstexperiment - nachmachen erlaubt, Goldegg Verlag, 224 S., 16,95 Euro, ISBN-13: 9783902991119
Sabine Perndl: Kekse ohne Zucker. Süßen mit Birkenzucker und Stevia, Freya Verlag, 160 S., 16,90 Euro, ISBN-13: 9783990252161
Sarah Wilson: Goodbye Zucker, Goldmann Taschenbuch, 224 S., 12,99 Euro, ISBN-13: 9783442175406