Mit dem DDR-Haus EW 58 gegen die Tristesse der Vorstadtsiedlung

Wendorf (dpa) - Des DDR-Häuslebauers Glück hatte einen Namen: EW 58. Die Geschichten vom Abenteuer des Selberbauens und der Suche nach Baumaterial füllen Abende. Seit der Wende ist EW 58 Geschichte.

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Jetzt, 25 Jahre später, wird das Haus noch einmal gebaut - in Holland.

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Himmel und Hölle setzte der DDR-Bürger in Bewegung, um seinen Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen. Baugenehmigung und Grundstück waren dabei das Geringste. Spannend wurde es bei der Beschaffung des Materials: Auspuffanlage für den Trabi gegen Zement gegen Ananas-Konserven gegen Dachpfannen, so konnte es gehen. Ton Matton, Stadtplaner und Künstler aus Rotterdam, hat diese Geschichten zuhauf gehört, als er vor gut zehn Jahren nach Mecklenburg zog. Meist ging es um EW 58, das am häufigsten gebaute Einfamilienhaus der DDR. Es waren Geschichten vom Selberbauen mit Freunden, vom Improvisieren, vom Unterlaufen sozialistischer Gleichmacherei durch individuelles Loslegen. Das hat Matton imponiert. „Die Leute sind stolz auf ihr EW 58“, sagt er. „Schade eigentlich, dass nach der Wende damit Schluss war.“

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Das EW 58 ist unverkennbar, obgleich es überraschend vielfältig daherkommt. Kaum eines der Typenhäuser gleicht dem anderen. Gemeinsam sind ihnen der fast quadratische Grundriss und das steile Dach mit der leicht ausgestellten Traufe. Sie verleiht den Häusern ein heiteres, fast beschwingtes Aussehen. Es gibt das EW 58 mit und ohne Dachgauben, Vorhäuschen und Terrasse, als Einfamilien- und Doppelhaus. Oft steht es auf hohem Sockel, im Keller gab es häufig einen Hobbyraum und/oder die beliebte Kellerbar. Sogar Tiefgaragen waren möglich.

Rund 500 000 Mal ist das EW 58 in den Jahren 1958 bis 1989 in der DDR gebaut worden. Matton hat das recherchiert, er hat sogar den heute hochbetagten EW 58-Architekten Wilfried Stallknecht (86) interviewt. Der Anlass war ein Wettbewerb der niederländischen Stadt Almere bei Amsterdam vor sechs Jahren. Der Titel: „Das einfache Haus“. Matton fand das Motto unglücklich. „Das Leben ist heutzutage nicht einfach, es ist sehr komplex, und die Anforderungen an Häuser sind es auch.“ Aus Protest reichte er das EW 58 samt dessen Baugeschichte(n) ein.

Matton ist ein experimenteller Stadtplaner. Schlagzeilen machte seine Belebungsaktion für das totgesagte Zentrum der mecklenburgischen Kleinstadt Wittenburg: Künstler organisierten hier zusammen mit den Einwohnern eine Woche lang Projekte wie einen „Beschwerdechor“, die Verhüllung verwahrloster Fassaden mit Selbstgestricktem, ein Freiluftkino in der Hauptstraße. Eine hessische Gemeinde unweit von Kassel, die unter extremer Überalterung leidet, will von Matton jetzt ein ähnliches Projekt.

Ziel des Stadtplaners ist es, die Bewohner aus ihrem passiven Lamento zu holen. „Das ist das Wichtigste, der Rest wird dann schon“, sagt er. Das DDR-Eigenheim verkörpert für Matton genau das und noch mehr. Er empfindet es als traurig, dass heutige Eigenheim-Erwerber in aller Regel ein fertiges Haus vorgesetzt bekommen, 30 Jahre lang Geld dafür zur Bank bringen und „ihr“ Haus, oft auf knappstem Grund stehend, lediglich konsumieren können. „Selbstbestimmen und produzieren statt konsumieren, das macht doch den Sinn aus“, sagt Matton. Ihm sind herkömmliche Vorstadtsiedlungen ein Graus. Dort verdiene sich die Immobilienwirtschaft auf dem Rücken der Leute eine goldene Nase, sagt er.

Der Jury gefiel Mattons Idee und sie kürte ihn 2008 zu einem von acht Gewinnern des Wettbewerbs. Der Preis: ein 300-Quadratmeter-Grundstück in Almere. „Das ist für holländische Verhältnisse riesig“, sagt der Planer. Auf den Grundstücken können die Preisträger ihre Entwürfe bauen.

Im Mai soll das EW 58 seine Wiedergeburt in Holland feiern. In Mattons Lagerhalle im mecklenburgischen Wendorf bei Bruel stapeln sich originale Dachpfannen, Türen, Fenster, Fenstergriffe und Türklinken aus aufgegebenen EW 58-Häusern. Alles wird nach Holland gefahren, bis auf die Mauersteine. Die Bauherrin des neuen EW 58 will die Wände aus gepressten Strohquadern errichten, die innen mit Lehm verputzt werden. Das Dach ruht auf Holzständern. Beim Außenputz geht Matton jedoch keine Kompromisse ein: Die Wände bekommen den DDR-üblichen Kratzputz in Grau. Eine original Kurbelmaschine zum Anwerfen des Putzes hat er schon besorgt.