Pimp my Hirschgeweih - Aufgemotzte Jagdtrophäen sind angesagt
Kernen im Remstal (dpa) - Ein billiger Trend zum Hinterherlaufen, ein ironischer Bruch mit Brauchtum oder Traditionsbewusstsein im Chic des 21. Jahrhunderts? Die Jagdtrophäe ist zurück. Aber bitte nicht als Blanko-Geweih, sondern mit Bling-Bling und Glamour.
Vergoldete Schaufeln und pinkfarbener Knochen. Oder tiefschwarz die Hörner, der Schädel mit Nieten besetzt. Ein Hingucker sind die aufgemotzten Geweihe von Rolf Miess ohne Zweifel. Mal arbeitet er mit Neonfarben, mal mit Strasssteinen. Nur Latex und Wachs nutzt er nicht. „Da geht die Struktur verloren“, sagt der 36-Jährige, der die Produktion vor kurzem aus der Privatwohnung in angemietete Räume in Kernen im Remstal bei Stuttgart verlegt hat.
95 Prozent der Jagdtrophäen vom Reh über Hirsch und Elch bis zum Rind, die er hier verziert, seien aus Nachlässen von Jägern. „Dabei ist es schwierig, an gute Qualität zu kommen“, sagt Miess. Denn während Jäger auf ausgefallene, krumme oder abgestoßene Hörner aus seien, lege seine Kundschaft viel Wert auf Symmetrie und Perfektion. Wenn links sechs Enden abgehen, dann bitte auch auf der rechten Seite.
Ein Großteil der Kunden seien Frauen, sagt Miess. „Die nutzen solche Geweihe als ausgefallenes Bildersatzmittel.“ Die Nachfrage sei in den Regionen Hamburg, München, Wien, Köln und Frankfurt groß. „Berlin kommt.“ Die meisten seiner Kreationen verkauft Miess, der sich als Designer bezeichnet, nach eigenen Angaben an Privathaushalte, gefolgt von der Gastronomie und für Büroräume. Die Preise sind so individuell wie die Werke: „Ich sage immer: von zehn Euro bis unendlich.“
Geweihe sind längst nicht mehr verstaubte Relikte aus Großvaters Zeiten, sondern erhalten Einzug in die Studenten-WG und ins Wohnzimmer. Bereits 2007 schrieb die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen von „Heimotion“ - zusammengesetzt aus „Heimat“ und „Emotion“: „Das Revival von Kuckucksuhr, Jagdtrophäe und Kreuzstich steht für die Wiederentdeckung des Regionalen, ist aber auch als Zusammenschluss der „lokal Kreativen“ mit einer sozialkritischen Botschaft wider die Grenzenlosigkeit der Globalisierung versehen.“
Heidrun Jecht vom Badischen Landesmuseum sagt: „Das war ein Trend, der jetzt zur omnipräsenten Mode geworden ist.“ Weil aber auch kommerzielle Hersteller aufspringen und Massenware produzieren, gehe die ursprüngliche künstlerische Absicht, ein ironischer Bruch mit altbekannten Werten, immer mehr verloren. So wolle etwa der Offenburger Künstler Stefan Strumbel mit seinen durch grelle Farben oder Totenköpfe aufgepimpten Kuckucksuhren ganz klar provozieren.
„Wer sich heute aber so etwas kauft oder ein Geweih, wird sich vermutlich erst in zweiter Linie bewusst, dass er da eine Tradition aufgreift“, meint Jecht. Als weiteres Beispiel nannte sie die „Schwarzwaldhocker“ der Firma Raumgestalt aus Bernau in Bollenhut-Optik: mit roten Stoffknubbeln auf der Sitzfläche.
Etwas anders sieht es Jennifer Wiebking, die jüngst für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ schrieb: „Das Geweih ist ein wunderbares Stilelement, um zu zeigen, dass man einen Sinn für Ironie hat.“ Der Look könne den eigenen vier Wänden etwas Würze verleihen. „Die Urigkeit, die mit den Geweihen einzieht, ist gewissermaßen das Gegenmodell zur Herrschaft des klaren, weißlackierten Mobiliars, das Anfang des neuen Jahrtausends plötzlich jeder haben musste und das das Wohnzimmer wie Kunstgalerien aussehen ließ.“
Je individueller, desto besser, sagt Jecht. Und am besten mit viel Bling-Bling und Chichi. Das wird auch in der Geweih-Manufaktur von Rolf Miess deutlich. Selbst die präparierten Steinbock- und Hirschköpfe sind mit Federboa und vergoldeter Sonnenbrille gestylt.
„Sehr beliebt sind im Moment Nieten“, sagt er und erzählt, dass er über die Anfrage eines Dominastudios darauf gekommen sei. Überhaupt läuft bei Design und Materialien vieles über Versuche. Da nur wenige Leute Jagdtrophäen auf ähnliche Weise bearbeiten, gibt es kaum Tipps und Tricks. „Da mussten anfangs einige Geweihe drunter leiden.“
Angefangen hat der hauptberufliche Bezirksleiter einer Bank, nachdem ihm eine Kundin ein Hirschgeweih vererbt hatte. Einfach in den Keller sperren wollte er es nicht, in der Blanko-Version an die Wand hängen aber ebenso wenig. Vergoldete Hörner und Strass am Schädel - so startete er vor fünf Jahren. Erst einmal privat, mittlerweile hat er eine Angestellte und nach Feierabend gut 20 Stunden pro Woche zu tun.
Die Freude am Verkaufen kommt ihm nicht nur in seinem eigentlichen Job zugute. Vor allem profitiere er aber von den Leuten, die er kennenlernt - etwa bei einem High-Society-Golfturnier in Kitzbühel. Eines hat Miess in der Zeit festgestellt: „Frauen achten sehr darauf, dass es gut aussieht. Männer wollen es eher groß und mächtig.“