Weiß in der Wohnung: Purismus mit Grenzen
Frankfurt/Main (dpa/tmn) - Viel Tageslicht, helle Farben und Holz: Stilexperten sehen darin Purismus zum Wohlfühlen. Der Einrichtungstrend aus Skandinavien steht für „leichte Unschuld“. Doch Vorsicht: Zu viel Weiß in der Wohnung schadet dem Wohlbefinden.
Die Einrichtungsbranche will einen neuen Trend erkannt haben: Helle Räume, cremefarben bis weiß, von Tageslicht durchflutet und von natürlichen Oberflächen durchsetzt, sorgen für eine zurückgenommene und dezente Wohlfühlstimmung. Das Stilbüro bora.herke.palmisano verpasste dem Konzept auf der Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt den Namen „light innocence“ - „leichte Unschuld“. Was steckt dahinter? Designexpertin Claudia Herke erklärt: „Ein puristischer Stil, in dem ätherische Leichtigkeit und natürliches Tageslicht eine zentrale Rolle spielen.“ Der Stil sei ausgewogen und harmonisch.
Die Bereichsleiterin der Messe Frankfurt für die Ambiente, Nicolette Naumann, sieht das ähnlich: „Light innocence“ sei der Marketing-Name. Dahinter stecke ein „gesellschaftlicher Megatrend“: Die Menschen hätten das Gefühl, dem beschleunigten Arbeitsleben und Kommunikationsverhalten etwas entgegensetzen zu müssen. „Es ist eine freundliche Form von Rückzug, von Freiraum. Draußen ist es schnell, zu Hause machst du es dir hell, leicht, weich.“
Es gebe definitiv einen Trend in Richtung Natürlichkeit, der aus Skandinavien kommt, ergänzt Sylvia Leydecker vom Bund Deutscher Innenarchitekten (BDIA) in Bonn. Weiß spiele eine große Rolle, aber nicht in steriler Form, sondern in Verbindung mit Holz, natürlichen Farbtönen, plakativen Akzentfarben und haptisch anspruchsvollen Oberflächen, etwa kuscheligen Fellen und strukturierten Teppichen.
Ganz wichtig ist das Tageslicht, wobei sich in diesem Punkt schon viel beim Bau entscheidet, wie Leydecker erklärt. „Woher kommt die Sonne? Wo fällt das Licht ein? Das lässt sich hinterher nicht mehr beeinflussen.“ Eine Möglichkeit, sich mehr Tageslicht in den Raum zu holen, seien Spiegel und großzügige Glasflächen.
Weil sich das Tageslicht naturgemäß nur schwer beeinflussen lässt, kommt es vor allem auf helle Farben an. Nicolette Naumann nennt abgetönte Cremetöne, Claudia Herke ergänzt Puder, Mattsilber, Pfirsich oder sanftes Violett. Die matt-weichen Farbkompositionen werden mit natürlichen Oberflächen kombiniert: Stein, Holz, entweder ganz hell oder mit einer sichtbaren Maserung, Fell und Filz, erklärt Naumann.
Wichtig sei, das Weiß zu brechen: „Die Textur rauer oder grob verputzter Oberflächen, behagliche Textilien, die lebendige Erscheinung natürlicher Steine oder auch die industriell produzierte, aber attraktive dreidimensionale Oberflächenstruktur nehmen dem Ganzen dieses Klinische“, sagt Leydecker. Weiß, hell und klar, puristisch: Das sind nämlich Begriffe, die manchen an ein Krankenhaus denken lassen. Tatsächlich ist „light innocence“ ein Stil, den man schnell übertreiben kann.
„Weißgestaltung bleibt für mich sehr kritisch. Es ist eher klinisch, aseptisch“, sagt der Trendforscher und Farbexperte Prof. Axel Venn aus Berlin. Warum dann strahlend weiße Räume? Die Leuten wollen damit ausdrücken: Sie schätzen Kargheit, Schlichtheit und Intellektualität.
Reines Weiß müsse immer mit anderen Farben gebrochen werden, rät Venn. Eine Sehachse im Raum könne gerne puristisch wirken, aber eine andere Richtung müsse das wiederauflösen, zum Beispiel durch natürliche Rot- oder Rosatöne und getrübte, gebrochene Sorbetfarben. Sylvia Leydecker findet: „Weiß kann der Horror sein, Weiß ist aber nicht zwingend steril, sondern kann sehr schön sein.“