Die Zukunft des Wohnens? Wie Mini-Häuser Raumnot lindern könnten

Berlin (dpa/tmn) - Schlafen, kochen, duschen und noch bis zu zwei Übernachtungsgäste empfangen: Das alles ist in einem Tiny House möglich - auf im Schnitt 6,4 Quadratmetern Fläche. Zum Vergleich: Ein gängiges Fußballtor hat rund 18 Quadratmeter.

„Tiny“ heißt winzig, und das englische Wort „house“ für Haus ist in diesem Fall fast zu weit gegriffen. Mit Tiny Houses werden Gebäude in der Machart kleiner Hütten bezeichnet. Sie bieten dennoch gut ausgestattete Wohnbereiche.

Auf kleinster Fläche nutzen die Häuschen jeden Kubikmeter durchdacht aus, um möglichst viel Wohnraum zu schaffen - mit allem, was ein Mensch in der Regel so braucht.

Vor allem in den USA sind die Häuser beliebt. Dort gibt es kaum Vorgaben zum Standort und zu Baugenehmigungen. Auf Anhängern lassen sich die Hütten leicht und schnell durchs Land fahren. In Deutschland dagegen darf ein Wohnwagen maximal zwei Wochen auf öffentlichen Plätzen und Straßen parken, und auch das dauerhafte Wohnen in so einem Häuschen ist nicht an jedem Fleck möglich. Außerdem machen Bauordnungen und Bebauungspläne Vorgaben.

In Deutschland existieren bisher nur wenige Tiny Houses - und viele sind von Architekten als Projekte initiiert, die gerechteres und faireres Wohnen illustrieren sollen. Denn der Bau und Unterhalt solch kleiner Wohnräume spart natürlich Geld.

Zum Beispiel wirbt die Tinyhouse University, ein Berliner Kollektiv aus Gestaltern, Bildungsaktivisten und Flüchtlingen, sowie die wohnungspolitische Initiative Co—Being House mit dem Konzept der 100-Euro-Wohnung. Das Tiny House sei die kleinste Wohnung Deutschlands auf einer Fläche von 2 mal 3,20 Metern, könnte aufgrund ihrer Größe 100 Euro Monatsmiete kosten und soll alle Grundbedürfnisse einer Person abdecken.

Es gibt einen Wohnbereich mit Sessel, Küche, Schlafbereich und sogar einen Arbeitsplatz. Möglich machen das schnell verwandelbare Multifunktionsbereiche, aber auch eine Deckenhöhe von 3,60 Metern. So kommt etwa das Bett auf eine Galerie unter dem Dach.

Und wie lebt es sich in einem Tiny House? Jan Fritsche verbringt als Betreuer des Ausstellungsbereichs auf dem Bauhaus-Campus in Berlin viel Zeit in dem kleinen Häuschen. „Man hat hier alles, was man braucht“, lautet sein Fazit. Sogar Platz für Besuch von Freunden im multifunktionalen Wohnzimmer gibt es.

Der Anhänger unter dem Holzbau regt die Träume an. Man könnte überall hinziehen, wo man sich aufhalten möchte, würden bloß die Regelungen in Deutschland gelockert. Die Grundfläche der Tiny Houses ist in der Regel nicht größer als ein Parkplatz. Warum im Sommer nicht an einem See leben? Oder mitten im Kornfeld oder in den Bergen? Oder man besucht seine Freunde übers das Wochenende im eigenen Haus.

Das Zukunftsinstitut hat sich mit der Frage beschäftigt, wie viele Quadratmeter ein Mensch heute und morgen braucht. In einer aktuellen Wohnstudie kommen die Experten zum Schluss: Wohnfläche alleine bedeutet heute nicht automatisch Lebensqualität. „Entscheidend ist vielmehr die Qualität der Nachbarschaft und das Angebot der Shared Spaces“ - also der Gemeinschaftsräume wie Küche, Bibliothek, Garten oder Fitnessraum für alle Bewohner eines Hauses. Angesichts von immer mehr Single-Haushalten sei es auch ein Weg gegen die Vereinsamung.

Diese Idee steht auch hinter dem Berliner Tiny House. Die Modell-Wohnfläche auf dem Campus dient als Illustrierung, ein Jahr ist sie für Architekturinteressierte zugänglich. Geplant ist aber der Kauf und Ausbau eines Gebäudes für 100-Euro-Appartments neben normal großen Wohnungen für Menschen mit höherem Einkommen. Hier sollen sich alle Parteien Gemeinschaftsräume teilen.

Ein Konzept für modernes Wohnen, so nennt es Jan Fritsche. „Es soll ein Haus für die ganze Gesellschaft werden. Auch für alle, die zentral leben wollen, es sich aber eigentlich nicht leisten können. Schon heute sind bestimmte Leute vom Zugang zum Wohnraum in der Stadt ausgeschlossen.“ Mit zunehmender Tendenz.

Viele Architekten setzen sich derzeit mit Ideen für winzige Häuser und Wohnungen in den Großstädten auseinander. Warum die kleinen Hütten nicht auf Hochhausdächer setzen? Laut einer Studie der Universität Darmstadt aus dem Jahr 2016 könnten deutschlandweit 1,5 Millionen zusätzliche Wohnungen geschaffen werden, wenn man die bestehenden Mehrfamilienhäuser mit drei Wohnungen und mehr der Baujahre 1950 bis 1989 aufstockt.

Nicht nur die Baubranche interessiert sich für diese Möglichkeiten der Stadtentwicklung. Auch die Möbelindustrie hat den Trend längst erkannt und beschäftigt sich mit der Idee vom Wohnen auf immer kleineren Grundflächen. Denn der Trend zur Urbanisierung und die wachsenden Städte mit teurer werdendem Wohnraum machen nicht nur grundlegend neue Wohnkonzepte nötig - sondern auch passende Möbel.

Die weltgrößte Messe der Zulieferer der Möbelindustrie und des Innenausbaus, die Interzum, widmete dem kleinen und beweglichen Wohnraum 2017 sogar eine Sonderausstellungsfläche. Hier ging es zum Beispiel um Innovationen für Beschläge. Die kleinen, vom Möbelkäufer meist wenig beachteten Teile können dabei helfen, das Platzangebot eines Zimmers besser auszunutzen - etwa, indem Ecken oder Nischen besser zugänglich für Regalauszüge werden. Nur so lassen sich 6,4 Quadratmeter Wohnfläche auch vollständig ausnutzen.

Literatur:

Oona Horx-Strathern, Christiane Varga, Matthias Horx: 50 Insights- Zukunft des Wohnens, Februar 2017, 115 Seiten, 190 Euro zzgl. 7 Prozent, ISBN-13: 978-3-945647-38-7