Zeigt der Mietspiegel nur ein Zerrbild?

Berlin (dpa) - Selten hat ein Amtsgericht soviel Aufsehen erregt. Doch das vernichtende Urteil der Richter in Berlin-Charlottenburg über den Mietspiegel rührt an einer Frage, die Millionen betrifft: Welche Miete ist angemessen?

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Mit der Mietpreisbremse stehen auch die Mietspiegel zur Debatte.

Warum gibt es Mietspiegel?

„Der Mietspiegel schafft Rechtssicherheit und Rechtsfrieden“, heißt es beim Deutschen Mieterbund. Die Idee: Kommen Mieter- und Vermieterverbände über die ortsübliche Vergleichsmiete überein, gibt es weniger Streit um die Miethöhe im Einzelfall. In Großstädten fließen tausenden Daten ein. Wer eine Mietererhöhung erhält, kann im Mietspiegel nachsehen, ob sie berechtigt ist. „Es ist für Mieter das transparenteste Verfahren, für Vermieter das einfachste“, sagt Mieterbund-Sprecher Ulrich Ropertz.

Was hatten die Richter in Berlin daran auszusetzen?

Kritik an Mietspiegeln gibt es immer wieder, auch am Berliner, der bundesweit als vorbildlich gilt. So stört Eigentümer, dass Mieten aus vier Jahren und auch aus bestehenden Verträgen in die Vergleichsmiete einfließen. Dadurch werden kurzfristige Preissprünge ausgebügelt, wie sie Wohnungssuchende in der Stadt derzeit schmerzhaft erleben. Mieterschützer wollen dagegen eher noch längere Zeiträume.

Im konkreten Fall (Az.: 235 C 133/13) einer Charlottenburger Altbauwohnung störte das Gericht anderes: Die Datensammler hatten bei der Vergleichsmiete Mieten über sieben Euro ausgeblendet und so die Marktlage zusätzlich verzerrt. Solche Kniffe sind jedoch politisch gewollt. Mieter- und Vermietervertreter sitzen mit am Tisch und erkennen das an. „Wir haben immer mitgemacht, weil wir Frieden wollten“, heißt es beim Eigentümerverband Haus und Grund.

Stehen nun bundesweit die Mietspiegel auf der Kippe?

Da verfallen die Beteiligten in Extreme. Mieterbund: Die Mietspiegel bleiben. Haus und Grund: Sie kippen wie Dominos. In der Branche selbst ist man aber zurückhaltend. „Wir sehen bei diesem Fall keinen Grundsatzcharakter“, sagt etwa Carsten Herlitz, der Justiziar des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen.

Noch sei es nur das Urteil eines Amtsgerichts, das auch schon anders entschieden habe, und das sich auf einen einzelnen Gutachter beruft, heißt es auch von einzelnen Vermietern. „Der Berliner Mietspiegel ist erst dann in seiner Anwendung eingeschränkt, wenn sich das Landgericht anschließt“, sagt Reiner Wild, der Chef des örtlichen Mietervereins. Für andere Städte gilt derweil: Um dort einen Mietspiegel zu kippen, müsste erstmal jemand klagen.

Wie einigen sich Vermieter und Mieter ohne Mietspiegel?

Das ist in Bremen zu besichtigen, der größten deutschen Stadt ohne amtlichen Mietspiegel. Will ein Vermieter die Miete erhöhen, muss er drei vergleichbare Wohnungen mit ähnlicher Miethöhe nennen. Oder er lässt ein Gutachten anfertigen - was 1500 bis 1800 Euro kostet. Meist dauert es Jahre, bis das Geld über die höhere Miete wieder reinkommt. Mietervertreter Wild fürchtet, dass es nun auch Vermieter in der Berlin häufiger auf so einen Versuch ankommen lassen, um über die Vergleichsmiete hinaus zu erhöhen.

Was bedeutet das Urteil für die Mietpreisbremse?

Das ist die politische Dimension: Erste Eigentümer wollen Mietspiegel nicht mehr mittragen, seit der Bund die Mietpreisbremse beschlossen hat. Denn nun gelten die mitunter politisch entschärften Zahlenwerke auf angespannten Märkten auch bei Neuvermietungen. Da konnte der Vermieter bisher verlangen, soviel er wollte - solange es jemand zahlte. Nun dürfen es höchstens zehn Prozent über Vergleichsmiete sein.

Der Mietpreisbremse sei die Grundlage entzogen, tönen nun die, die schon immer dagegen waren. Einig sind sich Mieter und Eigentümer allein in ihrem Ruf nach der Politik. „Die Bundesregierung muss die Erstellung von Mietspiegeln endlich bundesweit regeln“, sagt Mietervertreter Wild. „Wer die Mietpreisbremse will, muss dafür sorgen, dass die Mietspiegel zukünftig auf einer repräsentativen und nicht manipulierten Basis beruhen“, verlangt Haus und Grund.

„Wir sorgen dafür, dass im Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete auf eine breitere Basis gestellt und realitätsnäher dargestellt wird“, haben sich Union und SPD schon 2013 im Koalitionsvertrag vorgenommen. Justizminister Heiko Maas (SPD) arbeitet an einer Reform. Wann er einen Gesetzentwurf vorlegen kann, ist nach Ministeriumsangaben aber noch offen.