Zeitgeist am Boden - Die Renaissance handgeknüpfter Teppiche
Hannover (dpa/tmn) - Der handgeknüpfte, modern interpretierte Orient-Teppich ist ein Premiumprodukt, das wie kaum ein anderes den momentanen Zeitgeist verkörpert. Seine Renaissance steht für eine Sehnsucht nach mehr Substanz in der Welt und echten Werten.
Der Verband der Deutschen Möbelindustrie spricht bei den Wohntrends für das Jahr 2014 von der „neuen Gemütlichkeit“. Was die Hersteller an Möbeln und Wohnaccessoires anbieten, soll nun besonders warm, flauschig, kuschelig und wohnlich sein. Das kann man auch bei den Bodenbelägen beobachten: Der handgeknüpfte Teppich erlebt eine Renaissance. Zu sehen war das im Januar auf der weltweit führenden Teppichmesse Domotex (11. bis 14. Januar 2014) in Hannover.
Die Modelle kleiden aber meist nicht mehr den Boden komplett ein. Als Einzelstück setzt er nur noch partiell ein Ausrufezeichen. „In klinisch durchgestylten Wohnungen mit hochglanzpolierten Betonböden fühlt sich niemand richtig wohl“, sagt Teppichproduzent Jan Kath. „Unsere Teppiche sind ein organisches i-Tüpfelchen, Wohlfühlinseln, die im coolen Interieur heilsam wirken.“
Die zeitgenössischen Teppiche stehen wie einst der gute alte Perser für eine starke Werteverbundenheit. So werden die Produkte von Jan Kath in Nepal, Thailand, Indien oder Marokko in Handarbeit gefertigt. Bei der Produktion verwenden die Knüpfer hochwertige Naturmaterialien wie Wolle aus dem tibetanischen Hochland, chinesische Seide oder Garn aus Brennnesselfasern.
Mit so einem Bodenbelag holt man sich nicht nur mehr Gemütlichkeit zurück in die Wohnung, sondern auch das Produkt einer alten Handwerkskunst. „Handgeknüpfte Teppiche stehen heute für Tradition, Werte, Luxus, Lebensgefühl“, sagt Hossein Rezvani, Produzent und Gestalter aus Hamburg. Jüngere Gestalter und Produzenten wie Jan Kath oder Hossein Rezvani setzen aber nicht nur auf das Alte. Bei der Gestaltung bewegen sie sich komplett in der Gegenwart: Hossein Rezvani nimmt Motive des klassischen Orientteppichs und verfremdet diese am Computer. Zurück bleiben nur noch Spuren der traditionellen Motivwelten. Es entstehen abstrakte Muster, die Ost und West auf neuartige Weise verbinden.
Arman J. Vartian aus Wien lässt seine aktuelle Teppich-Kollektion von bildenden Künstlern gestalten. „Die zeitgenössische Architektur arbeitet mit viel Glas, da hat man kaum noch Fläche, um Kunst aufzuhängen“, sagt Vartian. „Mit dem Teppich lege ich die Kunst einfach auf den Boden.“ Jan Kath zeigte auf der Messe Domotex ebenfalls eine Reihe außergewöhnlicher Motive. Die Reihe „Heiter bis wolkig“ ist inspiriert von der Landschaftsmalerei des Barocks. Bei der Kollektion „From Russia with love“ setzt Kath florale Muster aus der russischen Folklore in Szene.
Auch der holländische Designer Bertjan Pot sucht bei seinen „Triangles“-Teppichen nach einem anderen Umgang mit der Tradition. „Ich wollte nicht mit den bekannten romantischen Motivwelten aus dem Orient arbeiten“, sagt er. Pots Teppich besteht aus Dreiecken in unterschiedlichen Farben und Materialien. Die Serie erinnert an die Geschichten von „Tausendundeine Nacht“, ebenso an die Motivwelt der Op-Art der 70er Jahre oder die Muster des Designers Verner Panton.
Neue Wege geht auch das Unternehmen Reuber-Henning. Bei der Serie „Stripes“ arbeiten die Berliner mit Streifenmuster, die am Computer per Zufall erstellt wurden. Die Produktreihe „Lost in Translation“ ist in feinen, blassen Farben gehalten und bedient sich floraler, verwischt wirkender Motive.