Alpengletscher sind im Hitzesommer stark geschrumpft
Wien/Zürich (dpa) - Die drei Gletscher am Dachstein in Österreich sind eine der größten Attraktionen der Unesco-Welterberegion Dachstein-Salzkammergut. Doch mit der etwas unheimlichen Pracht der Eisriesen könnte es schon ziemlich bald vorbei sein.
„Wenn vom Gletscher in dreißig Jahren nur noch Schotter übrig bleibt, wird das keinen Touristen mehr interessieren“, sagt Klaus Reingruber von „Bluesky Wetteranalysen“ aus Attnang-Puchheim in Oberösterreich. Die Firma misst in staatlichem Auftrag regelmäßig die Pegel von Hallstätter-, Schladminger und Gosaugletscher. In diesem Herbst wieder einmal mit besorgniserregenden Ergebnissen.
Denn der Hitzesommer 2015 hat den Gletschern überall in den Hochalpen stark zugesetzt. Nach zwei relativ kühlen, gletscherfreundlichen Jahren seien die Abschmelzraten in diesem Jahr wieder extrem, sagt Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Blick auf die vorläufige Bilanz der Abtauperiode 2015. „Der Massenverlust kommt in die Nähe des Rekordjahres 2003.“ Doch noch sind die Gletschermesser des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) auf rund hundert Eisströmen unterwegs. Die endgültige Bilanz für Österreich und Südtirol soll erst im April 2016 vorliegen.
In der Schweiz, auf deren Gebiet die weltberühmten Eisströme des Rhone- und Aletschgletschers liegen, deutet sich ein ähnlicher Trend an. Andreas Bauder, Glaziologe an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich meint, dass die Rekordwerte vom Jahrtausendsommer 2003 wohl nicht ganz erreicht würden. Doch vor allem kleinere Gletscher bis unter 3000 Metern Seehöhe seien „komplett ausgeapert“, das heißt, sie haben ihre Altschneeschicht verloren und sind der Sonne ungeschützt ausgesetzt.
Auch in Österreich haben die Gletscherexperten ein großes Schmelzen registriert: Auf dem Dachstein ist das Eis durchschnittlich um drei Meter dünner geworden, ein Meter mehr als im bisherigen Rekordsommer 2011“, wird Umwelt-Landesrat Rudi Anschober (Grüne) in den Oberösterreichischen Nachrichten zitiert. Die Gletscherzungen seien von tiefen Spalten durchsetzt, durch die man „bis zu zehn Meter auf den Untergrund“ schauen könne, berichtet Reingruber.
Um die aktuellen Stände zu messen, werden im Frühjahr an 17 Stellen mit Dampfbohrern zwei Meter lange Messlatten im Eis verankert. Sind sie herausgeschmolzen, muss ein neues Loch gebohrt werden. „Dieses Jahr mussten wir an manchen Stellen zweimal nachbohren“, sagt Reingruber. So rapide taute das oft Jahrhunderte alte Eis. Allein der Hallstätter Gletscher hat seit seinem historischen Höchststand von 1850 schon fast die Hälfte seiner Masse eingebüßt. Extrem war der Massenverlust auch am Jamtalferner in der Silvretta, der bei einzelnen Messstellen mehr als vier Meter betragen habe, heißt es in Fischers Bericht. Die Gletscherzunge des Äußeren Mullwitzkees auf der Südseite der Venedigergruppe schmolz um knapp fünfeinhalb Meter ab.
Zweifellos werde sich der Sommer 2015 in die Jahren mit extremen Verlusten einreihen, sagt Fischer. Dazu zählt auch das Jahr 1947, das als „Katastrophenjahr für die Gletscher“ bezeichnet wurde und als Jahrhundertereignis galt. „Schon jetzt kann man feststellen: Die oft geäußerte Meinung von Experten, dass sich extreme Jahre häufen könnten, ist bestätigt worden.“
Die ersten Schneefälle Anfang September haben der Leidenszeit der Eisriesen vorläufig ein Ende gesetzt. Doch die Gletscher seien weit entfernt von einem Gleichgewichtszustand, der sie zumindest in ganz hohen Regionen stabilisieren könnte. „Es ist kein Ende des Gletscherschwundes abzusehen“, sagt Fischer.
Vielleicht wird es Eis in den Alpen in ein paar Jahrzehnten nur noch unter der Erde geben, in den berühmten Eishöhlen von Obertraun am Dachstein und Werfen im Tennengebirge. Hier herrschen ganz spezifische mikroklimatische Verhältnisse, die es bislang verhindert haben, dass die bizarren, natürlichen Eis-Skulpturen das Schicksal der Gletscher an der Oberfläche teilen müssen. „Die Klimaerwärmung ist uns hier absolut wurscht“, sagt Alois Rettenbacher von der Werfner Eisriesenwelt. Seit 1920 sei die Eismenge in der Höhle sogar um ein Drittel gewachsen.