Aus Löwenzahn und Sojabohnen - Hersteller arbeiten am Ökoreifen

Hannover (dpa/tmn) - Zu Schwarz gesellt sich Grün: Bei der Produktion von Fahrzeugreifen halten immer mehr nachwachsende Rohstoffe Einzug. Chemikalien und Rohöl sollen bald Öko-Materialien weichen.

Rollwiderstandsoptimiert - dieses Ungeheuer von Wort fällt immer öfter im Zusammenhang mit Autoreifen, mit denen die Hersteller ihre Fahrzeuge auf Spritdiät setzen. Und dass sich diese Pneus über den gesenkten Verbrauch positiv auf die Umweltverträglichkeit auswirken, wissen immer mehr Autofahrer. Die Nachfrage nach den speziellen Rundlingen steigt. Neuer ist hingegen die Tendenz bei den Herstellern, für ihre Produkte möglichst viel recycelte oder gar nachwachsende Rohstoffe zu verwenden.

Unter Umweltaspekten haben die schwarzen Verschleißteile bis dato alles andere als eine weiße Weste. Zur Herstellung werden große Mengen an Rohöl und Naturkautschuk benötigt. Und nach Verschleiß oder übermäßiger Alterung stehen die Pneus dann zur Entsorgung an.

Die Notwendigkeit, alternative Rohstoffe zu verwenden, liegt nicht nur am steigenden Umweltbewusstsein der Hersteller, sondern auch am Geld. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) wird der Verbrauch von Rohöl im Jahr 2030 um über 20 Prozent höher liegen als 2007. Steigende Rohstoffpreise werden die Folge sein.

Hersteller Continental ersetzt nach eigener Aussage schon heute fossile Öle durch Rapsöle. Und die Zellulose-Faser Rayon wird meistens schon anstelle von Polyester als Festigkeitsträger für die Reifenkarkasse verwendet.

„Ganz auf fossile Rohstoffe verzichten!“ - dieses Ziel ruft Boris Mergell aus, der die Material- und Prozesstechnik in der Reifensparte bei Continental leitet. Es zu erreichen, sei jedoch schwierig, denn noch könnten nicht alle Reifenkomponenten durch nachwachsende Materialien ersetzt werden. Der Grund: Solche Stoffe verschlechtern mitunter die Fahreigenschaften des Pneus - etwa den Rollwiderstand oder die Straßenhaftung. „Solche Rückschritte werden wir nicht akzeptieren“, erläutert Mergell.

Der US-Hersteller Goodyear Dunlop arbeitet wie die deutsche Konkurrenz an dem Öko-Thema und hat herausgefunden, dass sich im Produktionsprozess Erdöl durch Sojabohnenöl ersetzen lässt. Obendrein steigere das Pflanzenöl die Laufleistung der Reifen um zehn Prozent. Die Verwendung der Bohne als Öllieferant soll den Rohölverbrauch allein bei Goodyear Dunlop um jährlich 26,5 Millionen Liter senken.

Doch auch für Naturkautschuk aus dem Hevea-Baum - im Volksmund schlicht Gummibaum genannt - suchen die Reifenhersteller eine Alternative. Knappe Ressourcen und steigende Preise legen auch hier ein Umdenken nahe. Gemeinsam mit Experten des Landwirtschaftlichen Forschungs- und Entwicklungszentrums der Universität Ohio in Akron haben die Reifenhersteller Bridgestone und Cooper Tires den russischen Löwenzahn (botanisch: Taraxacum kok-saghyz oder kurz TKS) ins Visier genommen.

Unter den rund 1200 Pflanzenarten, aus denen Naturkautschuk gewonnen werden könnte, eigne sich TKS am besten. Der Löwenzahn verspreche eine Vereinfachung der Logistik, hohe Qualität sowie hohe Verfügbarkeit, so die Forscher. Und noch einen Vorteil sehen die Amerikaner: die Unabhängigkeit von Kautschuk-Lieferungen aus politisch instabilen Ländern. Für Conti beispielsweise wäre ein Anbau im großen Stil auf brachliegenden Feldern in Europa denkbar.

Bridgestone hatte bereits auf dem Pariser Autosalon im September 2012 sowie auf dem Genfer Salon 2013 einen Konzeptreifen vorgestellt, der zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt ist. Als Ersatz für den Hevea-Naturkautschuk kommt Kautschuk aus der Goldrute zum Einsatz, einer in Nordamerika beheimateten Korbblütler-Pflanze. Der notwendige Rußanteil wurde aus pflanzlichen Fetten und Ölen erzeugt, auch das Vulkanisationsmittel, das Karkassengewebe und der synthetische Gummi sind pflanzlichen Ursprungs.

Mit Argwohn sieht der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Tendenz zu nachwachsenden Rohstoffen bei der Reifenherstellung: „Das zieht Umweltprobleme nach sich“, ist Pressesprecher Rüdiger Rosenthal überzeugt. Er befürchtet durch den Anbau der Rohstoffe noch größere Flächen für Monokulturen an Raps oder Löwenzahn.

Bis die ersten „grünen“ Reifen als Serienprodukte über unsere Straßen rollen, wird noch etwas Zeit vergehen - nach Einschätzung von Continental wohl über fünf Jahre. Es seien noch eine Vielzahl von Versuchen mit den Materialien und der Prozesstechnik notwendig, sagt Conti-Techniker Mergell.