Der Plattenbau als Ökostrom-Kraftwerk
Berlin (dpa) - Es ist ein Dilemma: Mieter zahlen über die Stromrechnung viel Geld für die Energiewende, haben aber nichts von günstigem Eigenstrom und den Vorteilen einer Solaranlage. In Berlin versucht das größte Mieter-Solarstromprojekt Deutschlands Abhilfe zu schaffen.
„Bester Döner“ wird in einem Lokal versprochen. Daneben eines dieser schmucklosen Fertigbau-Einkaufszentren mit Billigmode, Backshop, Fitness-Club und Lebensmittel-Discounter. Rund herum ein riesiger Plattenbau-Komplex, das Gelbe Viertel - hier wuchs Ost-Berlin zu Zeiten Erich Honeckers an seinen Rändern. Unten deutet nichts daraufhin, dass sich oben auf den Flachdächern Deutschlands größtes Solarstrom-Projekt auf einer zusammenhängenden Wohnanlage befindet. Damit werden Hunderte Mieter direkt mit Strom vom Dach versorgt.
Der Himmel ist grau an diesem Märztag, die Stromausbeute mau. Der 15 Kilometer entfernte Fernsehturm am Alexanderplatz ist ob des trüben Wetters nur schemenhaft zu erkennen. Die Dächer von 50 Wohnblöcken wurden zugepflastert mit Solarmodulen (Made in China). Das Gelbe Viertel umfasst über 2700 Wohnungen. Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR zogen hier in Berlin-Hellersdorf die ersten Mieter ein. Nur fünf Euro kostet der Quadratmeter, die Energiewende scheint weit weg. Und wird meist als Problem wahrgenommen, wenn die Stromrechnung kommt.
In einem Haus an der Erich-Kästner-Straße geht es dunkle Treppen hinauf, dann eine steile blaue Leiter hoch. Krabbelt man aus der Luke, blickt man auf tausende Solarmodule, gen Süden ausgerichtet, leichte Schräglage. Neben den Modulen verlaufen über die Dachpappe kleine Stahlseile. „Det ist der Blitzschutz“, sagt Udo Redlich vom Immobilienunternehmen Stadt und Land. Durch einen schwarzen Schlauch laufen die Kabel, durch die der Solarstrom abtransportiert wird.
Seit März können die Bewohner den Ökostrom vom eigenen Dach beziehen, das Hamburger Unternehmen Lichtblick bietet einen Mischtarif an: 30 bis 50 Prozent des Bedarfs können mit dem Eigenstrom abgedeckt werden, der Rest kommt aus dem normalen Netz. Rund 1,6 Millionen Kilowattstunden Strom sollen jedes Jahr auf dem Dach erzeugt werden. Die Ökostrom-Umlage könne durch den Eigenverbrauch um bis zu 193 000 Euro im Jahr entlastet werden, weil für den selbst verbrauchten Strom nicht die üblichen Vergütungen fließen müssen, betont Lichtblick. Redlich sagt, das Paket komme die Mieter drei Cent die Kilowattstunde billiger als andere Stromtarife. Sie wird für rund 25 Cent angeboten.
Es ist ein zentrales Problem der Energiewende: Mieter haben nur bedingt etwas von dem Ökostrom-Anteil von rund 25 Prozent. „Es gibt ein massives Gerechtigkeitsproblem“, verlautet aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Immer wieder wird das Bild des Mieters bemüht, der über seine Stromrechnung die Renditen des Zahnarztes finanziert, der sich eine Solaranlage auf das Dach geschraubt hat.
Denn die gemäß des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) auf 20 Jahre zugesicherten Vergütungen tragen die Verbraucher per EEG-Umlage über ihre Stromrechnung mit. Ein Durchschnittshaushalt mit 3500 Kilowattstunden Verbrauch zahlt 2014 knapp 220 Euro Umlage. Gerade untere Einkommen werden überproportional damit belastet.
Lukas Siebenkotten, Direktor des Mieterbundes, wies jüngst auf ein weiteres Problem hin: Hauseigentümer mit Solaranlage auf dem Dach müssen bei einer Selbstnutzung des Stroms keine EEG-Umlage zahlen, Mieter hingegen knapp 4,3 Cent je Kilowattstunde (der „normale Bürger“ zahlt 6,24 Cent). Es ist eine der vielen Besonderheiten im EEG - Mieter werden schlechter gestellt, weil sie die Solaranlage, aus welcher der Strom unten in ihre Wohnung kommt, nicht selbst besitzen. 35 Prozent der Mieter hätten ein Nettoeinkommen von weniger als 1300 Euro. „Wenn es gelingt, die Stromerzeugung im Mietwohnungsbereich zu erleichtern und dadurch günstiger Strom anzubieten, kann man die Belastung der Mieter mit Energiekosten vermindern“, so Siebenkotten.
Allerdings könnte im Zuge der Ökostrom-Reform von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) der Eigenverbrauch, auch für die Hausbesitzer mit Solaranlage, generell stärker belastet werden, um durch die Einnahmen die Strompreise anderer Verbraucher zu stabilisieren. Das wiederum könnte solche Mieter-Stromprojekte unattraktiv machen.
Das Hellersdorf-Projekt zeigt im Kleinen aber auch den großen Haken der Energiewende: Mal fließt viel, mal wenig Strom. Erst wenn es einen Durchbruch bei Stromspeichern gibt, könnte eine berechenbare Versorgung mit dem Plattenbaustrom garantiert werden.
Heidi Lube ist eine von bisher rund 230 Mietern, die sich für den Solarstrom vom Dach gemixt mit Netzstrom entschieden haben. Ihr Partner kommt aus dem Schwarzwald. „Das ist ein Alt 68er, der hat immer schon Ökostrom bezogen.“ Wenn Sie den Kühlschrank öffnet oder den Rechner hochfährt, denkt sie mehr über die Herkunft des Stroms nach als früher. „So kommt die Energiewende auch nach Hellersdorf“, meint die 51 Jahre alte Erzieherin. Von Anfang an, seit 1989 wohnt sie hier. „Man macht sich als dreifache Großmutter schon Gedanken, was für eine Welt wollen wir hinterlassen“, meint Lube. „Wir können nicht immer weiter auf Kosten der Umwelt leben.“