Frühlingsgefühle im Dezember - Der Zauber der Winterblüher
Mainz (dpa/tmn) - Wer es nicht besser weiß, wundert sich: Trotz Minusgraden und Schnee blühen einige Pflanzen in Winter. Hinter dieser Besonderheit von Schneeball und Co. stecken strategische Vorteile.
Die letzten Blätter sind von den Bäumen gefallen. Eigentlich erwartet man nun, dass der Garten wochenlang im tiefen Winterschlaf liegt. Doch da zeigt sich schon wieder etwas: Die ersten Winterblüher eröffnen noch vor dem Jahreswechsel die neue Gartensaison - vorausgesetzt, die Witterung spielt mit.
„Die Schneekirsche (Prunus subhirtella 'Autumnalis') ist ein typischer Vertreter der Pflanzen, die schon im Winter blühen“, sagt Ralf Omlor, Kustos des Botanischen Gartens der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Wenn sich die hellrosa, fast weißen Blüten im Dezember öffnen, habe man das Gefühl, es handelt sich um eine Täuschung der Natur. „Aber bei dieser Sorte ist es normal“, sagt Omlor. Sie blühe, bis es kräftig friert, und könne dann im April noch einmal schwach blühen.
Viele Hobbygärtner kennen als typischen Winterblüher den goldgelben Winterjasmin (Jasminum nudiflorum) und die Zaubernuss (Hamamelis), deren Blüten gelb, orange oder rot sind. „Weniger bekannt ist die Chinesische Winterblüte (Chimonanthus praecox)“, sagt Omlor. Der Strauch blüht meist zum Chinesischen Neujahrsfest, das je nach Mondstand zwischen Ende Januar und Ende Februar gefeiert wird. Mit den Zweigen der wunderbar duftenden Pflanze werden die Häuser in China zum Fest geschmückt. Schon im November öffnen Schneebälle (Viburnum x bodnantense und farreri) ihre weißrosa Blüten.
Sträucher, die in der kalten Jahreszeit blühen, kommen hierzulande nicht natürlich vor. Eine der wenigen heimischen Arten ist die Haselnuss (Corylus avellana). „Die meisten Winterblüher stammen aus wintermilden Klimaten in Südwest-China und dem südlichen Japan“, sagt Omlor. Die Strategie der Pflanzen, nicht in der Hauptsaison zu blühen, sichert ihr Überleben: Sie werden zu ihrer Blütezeit exklusiv von den Insekten bestäubt, die in der kühlen Zeit aktiv sind. „Die Blüten sind zwar recht klein, aber als Lockmittel verströmen sie angenehme Düfte“, erläutert Omlor. Beispiele dafür sind die Duftblüte (Osmanthus fragrans) und die Heckenkirschen wie Lonicera x purpusii.
Pflanzen, die wie der Immergrüne Schneeball (Viburnum tinus) aus dem Mittelmeerraum stammen, ziehen aus der Winterblüte einen weiteren Vorteil: Ihre Wasserversorgung ist dann besser als im trockenen Sommer des Südens. „In unseren Breiten kommen diese Pflanzen im Winter nur klar, wenn das Klima mild und gemäßigt ist“, sagt Omlor.
„Winterblüher sind der Schlüssel für einen Garten, in dem zwölf Monate etwas blüht“, erklärt Anja Maubach, Gartenarchitektin aus Wuppertal. Sie rät, die Pflanzen vor ein Fenster zu setzen. Oder sie kommen an den Rand eines Weges, den man auch in der kalten Jahreszeit begeht. Aus ihrem Arbeitsalltag berichtet Maubach, dass sie die Gestaltung einer Fläche mit den Winterpflanzen beginnt. So wirke der Garten ganzjährig attraktiv. Etwa ein Drittel bis ein Viertel der Pflanzen, die man setzt, sollten im Winter auch schön sein.
Partner der Winterblüher sind die Immergrünen. Das können Buchsbaum (Buxus sempervirens), Eibe (Taxus) und Rhododendron als Gehölze sein. Passende Stauden sind Bergenie (Bergenia), Wolfsmilch (Euphorbia) und Christrosen. Einige Formen der Christrose (Helleborus niger) schieben bereits um Weihnachten ihre großen weißen Blüten aus dem Boden. Das immergrüne Laub stellt im Winter einen gewissen Schutz dar und ist zugleich ein schöner Kontrast zu den Blütenfarben.
Besonders schöne Blüten hat das winterliche Alpenveilchen (Cyclamen coum), findet Maubach. Die Blüten stehen nur wenige Zentimeter über dem Boden und leuchten in einem kräftigen Magentarot aus dem Schnee oder über dem schwarzbraunen Gartenboden. „Die Alpenveilchen überraschen gleich mit einem großen Blütenmeer und trotzen dann wochenlang Schnee und Eis“, schwärmt sie.
Damit spricht die Gartengestalterin einen Aspekt an, den auch Omlor herausstellt: „Die Winterblüher nehmen keinen Schaden, wenn es kälter wird.“ Der Stoffwechsel werde nur eingeschränkt, wenn das Thermometer deutlich unter den Gefrierpunkt sinkt. Die Zaubernuss rollt dann zum Beispiel ihre Blütenblätter ein. Steigen die Temperaturen, setzt sie ihr Blühen fort.
Wenn der Winter seinen Zenit überschritten hat, beginnt das Treiben vor allem in Bodennähe. Die gelben Blüten des Winterlings (Eranthis hyemalis) spannen sich wie Satellitenschüsseln auf, beschreibt Omlor. Auch Veilchen (Viola odorata) und Leberblümchen (Hepatica nobilis) und viele kleine Pflanzen aus den Hochgebirgsregionen wie die Steinbreche (Saxifraga) zeigen sich.
Unterstützen kann der Gärtner das Wachstum, indem er sie erhöht pflanzt. Maubach empfiehlt als Standort Steinmauern am Haus oder Steintröge auf dem Sims. Das hat noch einen Vorteil: Man kann die winzigen Schönheiten besser aus der Nähe betrachten - denn sie sind so etwas wie ein Thermometer, sagt die Gartenexpertin. Blühen sie lange und schön, erkennt man, dass der Winter mild ist.