Pflanzen aus der Uckermark Gärtnern mit Wildsamen erfordert Fingerspitzengefühl
Temmen (dp) - Auf Knien rutscht Uta Kietsch die bunten Pflanzreihen entlang, zupft Unkraut, prüft mit den Fingerspitzen den Blütenstand von Oregano, Witwenblume oder kleinem Wiesenknopf.
Energisch schiebt die Gärtnermeisterin den hellen Strohhut tiefer ins Gesicht, während die Sonne unbarmherzig brennt. Wer ihren Acker im uckermärkischen Temmen betrachtet, würde als Laie nicht unbedingt erkennen, dass hier die Ernte kurz bevor steht. Denn es geht nicht um Feldfrüchte, sondern um Samen von Wildblumen.
„Mit den Sumpfdotterblumen geht es Ende Mai los. Bei anderen Pflanzen ernten wir bis in den November hinein“, erzählt die 49-Jährige, die einen Kalender dafür angelegt hat, um nicht den Überblick zu verlieren. Insgesamt 25 verschiedene Wildblumen und -gräser baut sie an. Von 30 weiteren Arten sammelt Kietsch den Samen in der freien Landschaft - mit amtlicher Sammelerlaubnis und Sondergenehmigungen.
Dieser Teil der Uckermark sei von seiner Natur her sehr vielfältig und nur dünn besiedelt, sagt sie. In mühseliger Handarbeit produziert die Chefin der „Wildsamen-Insel“ regionale Saaten, die auch dort wieder ausgebracht werden sollen, wo sie herstammen. Garten- und Landschaftsbaubetriebe, Behörden, aber auch zunehmend Hobbygärtner würden dieses Angebot nutzen, sagt Kietsch.
„Der Bedarf ist groß, wir kommen mit der Produktion kaum hinterher“, meint die Gärtnermeisterin. In zwei Jahren dürfen laut Bundesnaturschutzgesetz nur noch diese Regio-Saaten in der freien Natur ihres Herkunftsgebietes ausgesät werden. Es sind Straßen- und Ackerränder sowie Uferböschungen, oder Ausgleichsflächen für Bauprojekte.
„Spätestens 2020 wird die Nachfrage deutlich steigen“, ist auch Nina Keller überzeugt. Die gebürtige Baden-Württembergerin hatte bei Kietsch vor Jahren ein Praktikum gemacht und betreibt jetzt im Oderbruch (Märkisch-Oderland) eine Wildpflanzen-Gärtnerei. Die Neu-Regelung per Gesetz hat laut Kietsch und Keller auch ihren Grund: Die heimischen Pflanzen hätten sich in Tausenden Jahren durch natürliche Auslese an die Standortbedingungen angepasst. „Pflanzt man Arten aus der ganzen Welt ohne Sinn und Verstand, bringt das die heimische Flora und Fauna durcheinander“, macht Kietsch deutlich.
Um das zu vermeiden, vermehren laut dem Verband deutscher Wildpflanzen- und Wildsaatgutproduzenten (VWW) etwa 60 Mitgliedsbetriebe in ganz Deutschland Pflanzen aus ihren natürlichen Herkunftsräumen und helfen somit, die Artenvielfalt zu erhalten. Durchgesetzt habe sich dieser Naturschutzgedanke jedoch längst nicht, sagt Ernst Rieger, Geschäftsführer der Rieger-Hofmann GmbH, die das Saatgut aufkauft und in den Handel bringt. „Was hilft das Gesetz 2020, wenn dann das Saatgut fehlt, Landwirte nicht geschult sind und es zu wenig Lagermöglichkeiten gibt. So etwas muss vom Bund gesteuert aufgebaut werden“, fordert er.
Seit elf Jahren lebt die gebürtige Bautzenerin (Sachsen) Kietsch in der Uckermark. Mit dem Gut Temmen, einem Biolandbaubetrieb, hatte sie damals einen guten Kooperationspartner gefunden, von dem sie drei Hektar Land pachtete. „Es passt einfach - ich helfe beispielsweise beim Beschneiden der Obstbäume und kann mir im Gegenzug Technik ausleihen, wenn ich sie brauche.“
Doch das meiste ist Handarbeit: Das Pflücken der Samen, die nie an allen Pflanzen gleichzeitig reif sind, das Trocknen in einer Scheune, das Herauslösen der Saat vom Rest der Pflanze mittels Standdrescher, das Sieben und Reinigen. 70-Stunden-Wochen seien auf der „Wildsamen-Insel“ normal, was ihr zum Leben bleibe, habe allerdings Hartz-IV-Niveau, deutet sie an.
Doch die Überzeugung, ihren Beitrag für eine regionale Artenvielfalt zu leisten, treibe sie an. Etliche Tausend Pflanzen der Gemeinen Küchenschelle hat sie beispielsweise vermehrt. „Dieses für Brandenburg so typische Hahnenfußgewächs tut das trotz aller Versuche leider nicht mehr selbst. Wenn wir nicht nachhelfen, verschwindet sie ganz.“ Dieses Bewusstsein wachse auch beim Verbraucher, sagt Kietsch. Heimische Kornblumen seien bei Kunden besonders beliebt, aber auch Samenmischungen sowie essbare Blüten.
Das kann auch Keller für das Oderbruch bestätigen. „Die Leute wollen gezielt etwas tun für die Artenvielfalt und gegen das Insektensterben, legen inzwischen mehr Blühwiesen als Rasen an.“ Allerdings seien sie schnell enttäuscht, wenn die Wildblumen nicht so große Blüten in knalligen Farben entwickeln, wie die Züchtungen aus dem Baumarkt, hat sie festgestellt.
Hobbygärtnern raten beide, Wildblumensamen nicht einfach nur auszustreuen. Damit er gedeiht, sei ein feinkrümeliges Saatbett notwendig. Wurzelkräuter wie Giersch oder Quecke müssten entfernt werden. „Und die höchste Tugend ist Geduld“, erläutert Gärtnermeisterin Kietsch. Sechs bis acht Wochen dauere es, bis der Samen keime. Bis dann ein Pflänzchen daraus werde, könne es Monate dauern.