Gießen mit viel Gefühl: Der Trend zum achtsamen Gärtnern
Freising (dpa/tmn) - Ein Garten mit Staudenrabatten und Gemüsebeeten bedeutet Arbeit, keine Frage. Aber für die meisten Gartenbesitzer ist er doch ein Hobby. Und auch wenn das Gießen in langen Hitzeperioden oder das ständige Unkrautjäten sich an manchen Tagen eher wie eine Plagerei anfühlt.
In den meisten Momenten geht es beim Gärtnern um das Gefühl des Draußenseins, des bewussten Anpackens und Erlebens. Genau dieses Gefühl hat es jetzt zum Trend geschafft: Es ist in der Szene vom achtsamen Gärtnern die Rede.
„Beim achtsamen Gärtnern geht es immer um die Einstellung zum Gärtnern“, sagt Fachbuchautorin Stefanie Syren aus Freising (Bayern). Man muss keine Techniken erlernen, sondern ändert die eigene Herangehensweise an die Arbeit. Es geht um ein intensiveres Erleben und den Zugewinn an Zufriedenheit. „Wenn ich mir vornehme, Gemüse zu säen, dann gehe ich zu der Fläche, bereite sie vor, lege die Samen rein, versorge sie so, wie es richtig ist, und finde einen Abschluss“, erklärt Syren.
Währenddessen sei sie mit allen Gedanken voll und ganz bei der Tätigkeit. Sie nimmt die Erde wahr, fühlt die Samen - und vor allem lässt sie sich nicht durch stressende Gedanken aus dem Fluss der Tätigkeit bringen. Für Syren besteht Achtsamkeit vor allem im Erleben. „Von außen kann niemand unterscheiden, ob ich Achtsamkeit praktiziere, wenn ich aussäe“, erklärt sie. „Aber mein persönliches Erleben ist etwas ganz anderes.“
Darüber hinaus entwickelt man eine andere Einstellung zur Natur. Man hadert etwa nicht mehr so viel mit dem Wetter. „Es entwickelt sich Gelassenheit, weil man merkt, dass man die Situation nur hinnehmen kann“, erklärt Syren. „Gerade in Zeiten von Schnelllebigkeit und Wegwerfgesellschaft bringt einen das achtsame Gärtnern zurück zu den Ursprüngen“, findet die Buchautorin Helga Urban aus Frankfurt. Und die Pflanzen danken es einem, es verändert sich der Blick auf sie.
Ein Beispiel: Das Wahrnehmen, wie sich ein Samen anfühlt und wie er aussieht, bietet die Chance, dass man erkennt, ob der Sämling, der sich mit einem anhaftenden Rest der Samenschale aus der Erde reckt, das gewünschte Radieschen sein kann. Oder war vielleicht ein im Boden schlummernder Unkrautsamen schneller? Ihn kann man dann herauszupfen, noch bevor er Fuß fasst und dem Radieschen Nährstoffe wegnimmt.
„Die Augen sind das wichtigste Werkzeug eines Gärtners“, sagt Urban. „Je früher man beispielsweise die Gespinste des Buchsbaumzünslers entdeckt, desto früher kann man die Gefahr für den Buchsbaum eindämmen.“ Dabei sollte man den Schädling mechanisch entfernen. Denn bei dieser Arbeit entdeckt man vielleicht auch, dass der Boden unter dem Buchsbaum etwas Komposterde gebrauchen könnte. Vielleicht wird man sich dabei auch darüber klar, dass die Rosen, die nah am Buchsbaum stehen, Pflege brauchen. Kein Wunder, zwei Starkzehrer dicht nebeneinander, da leiden ganz schnell beide. Also wird man den Abstand vergrößern. „Die Pflanzen danken es einem“, betont Urban. So gewährleistet man auch Nachhaltigkeit.
„Das achtsame Gärtnern ist ein Geschenk für den Gärtner und die Gärtnerin selber“, ergänzt Syren. Das grüne Hobby wird davon befreit, dass man es als Last wahrnimmt. Es geht auch nicht mehr darum, dass der Garten als solches objektiv schöner wird. „Man findet einen Umgang mit der Vergänglichkeit auch über den Kreislauf der Jahreszeiten hinaus“, erklärt Syren. Schließlich gehört es beim Gärtnern dazu, dass eine einjährige Sommerblume nun mal nicht länger lebt oder die Einzelblüte von Taglilien - wie der Name sagt - nur einen Tag lang geöffnet ist.
Literatur:
Helga Urban: Mein Garten. Ein Geben und Nehmen, Eugen Ulmer KG, Stuttgart, 2015, 188 S., 17,90 Euro, ISBN-13: 978-3-8001-1277-7
Stefanie Syren: Achtsam Gärtnern: Wahrnehmung.Glück.Bewusstheit, blv-Verlag, München, 2015, 144 S., 19,99 Euro, ISBN-13: 978-3-8354-1450-1