Akrobatik auf dem Pferd: Voltigieren ist etwas für jeden
Oldenburg (dpa/tmn) - Auf dem galoppierenden Pferd im Stand durch die Halle schweben - wenn Profis voltigieren, halten Zuschauer den Atem an. Doch mit dem Turnen auf dem Pferd kann jeder beginnen.
Nele stellt den rechten Fuß auf, löst die Hände vom Voltigiergurt und streckt vorsichtig die Arme zur Seite aus: Jetzt kniet die Neunjährige mit einem Bein auf dem Pferderücken. „Prima!“ lobt Judith Kühnel, Voltigiertrainerin bei der Oldenburger Reit- und Fahrschule. Sie steht in der Mitte und hält die Longe, an der das Pferd im Kreis läuft. Beim Voltigieren führen die Sportler Gymnastikübungen auf dem Pferderücken aus. Schon Vorschulkinder können damit anfangen.
„Das ideale Einstiegsalter liegt bei fünf bis zehn Jahren“, sagt Ursula Ramge, Bundestrainerin im Voltigieren bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Dann sind die meisten Kinder groß genug, um selbstständig auf dem Pferderücken sitzen zu können. Auch Ralf Lange, Leiter der Fachschule für Voltigieren im niedersächsischen Hohenhameln, empfiehlt ein Mindestalter von fünf Jahren: „Voltigieren setzt voraus, dass die Kinder schon erste Regeln verstehen und befolgen können.“
Weil man schon so früh anfangen kann, gilt Voltigieren als optimaler Einstieg in den Reitsport. Denn dort geht es meistens erst mit zehn bis zwölf Jahren los. Zudem ist Voltigierunterricht deutlich günstiger als Reiten. Und das Turnen auf dem Pferd fördert Fähigkeiten, die auch für den Reitsport wichtig sind. „Beim Voltigieren lernen die Kinder, unabhängig zu sitzen und sich auf die Bewegung des Pferdes einzulassen“, erklärt Ramge. Wer vorher voltigiert habe, tue sich mit dem Reiten lernen leichter.
Bei geübten Voltigierern sieht die Gymnastik auf dem Pferderücken richtig akrobatisch aus. Doch wer mit diesem Sport anfangen will, muss nicht übermäßig gelenkig sein. In den Anfängergruppen werden die Übungen langsam aufgebaut. „Wir beginnen mit dem Grundsitz“, erklärt Judith Kühnel. Dabei streckt der Voltigierer beide Arme zur Seite aus. Dann folgen Übungen in der Hocke und schließlich im Stand. Wer schon etwas länger voltigiert, dem gelingen die Übungen auch im Galopp. Bereits in den ersten Stunden übten die Kinder, im Galopp die Arme zur Seite auszustrecken, erklärt Kühnel. „Dann kommt bei jedem Training etwas mehr dazu.“
Anders als Reiten ist Voltigieren ein Teamsport. „In einer Gruppe trainieren acht bis zwölf Sportler mit einem Pferd“, sagt Ursula Ramge. Schon Anfänger lernen, auf das Pferd, aber auch aufeinander Acht zu geben. Das beginnt schon vor der Stunde: Üblicherweise striegeln die Kinder ihr Voltigierpferd gemeinsam und legen ihm zusammen mit dem Trainer den Voltigiergurt an. Bevor es aufs Pferd geht, wärmt sich die Gruppe in der Reithalle auf.
„Schon in den Anfängergruppen entstehen Freundschaften“, weiß auch Ralf Lange. Vor allem das Turnen auf dem Pferd verbindet. Denn beim Voltigieren werden viele Übungen zu zweit oder zu dritt ausgeführt. Das schweißt zusammen. In den Turniergruppen, die mehrmals pro Woche trainieren, entsteht ein besonders starkes Wir-Gefühl. „Man wächst miteinander“, sagt Lange.
Wer sich geschickt anstellt, kann schon früh an den ersten Turnieren teilnehmen. Bei sogenannten breitensportlichen Wettbewerben können auch Voltigierer mit wenig Erfahrung mitmachen.
Auf der körperlichen Ebene fördert Voltigieren Fähigkeiten, die bei vielen im Alltag zu kurz kommen. Da Kinder heute weniger in der Natur spielten und zum Beispiel auf Bäume kletterten, könne Voltigieren ein guter Ausgleich sein, meint Ramge. Denn bei der Sportart werden insbesondere die koordinativen Fähigkeiten trainiert. Das Turnen auf dem Pferd schult die Körperbalance, das Gleichgewichts- und Rhythmusgefühl. Voltigieren wird darum auch physiotherapeutisch eingesetzt, zum Beispiel bei spastischen Lähmungen. „Die Arbeit mit Pferden animiert dazu, die Muskulatur loszulassen, sich auf ein anderes Lebewesen einzustellen“, erklärt Ramge.
Nicht nur Kinder, auch Jugendliche oder Erwachsene können noch mit dem Voltigieren beginnen. Doch für Interessierte, die älter als zwölf Jahre sind, mangelt es oft an geeigneten Einstiegsangeboten. Viele Vereine haben Anfängerkurse vor allem für jüngere Kinder im Programm. Wer einen passenden Kurs sucht, kann bei den Landesverbänden für Pferdesport nachfragen. Vielfältige Informationen rund um den Voltigiersport sind auch im Internetforum des Vereins „Der Voltigierzirkel“ zu finden.