Mauersegler als Notfallpatienten - Spezialklinik hilft

Frankfurt/Main (dpa) - Stürzen Mauersegler ab, werden sie zum Notfall. Christiane Haupt rettet sie. Tausende verletzte Vögel hat man ihr schon in die Mauerseglerklinik nach Frankfurt gebracht.

Foto: dpa

Dem Patienten geht es den Umständen entsprechend. Es war eine böse Verletzung, die Zähne der Katze hatten sich tief in den Bauchraum gebohrt. Das Gefieder war ganz blutverkrustet, als man ihn in die Mauerseglerklinik brachte. „Hoffen wir mal, dass er sich in den nächsten ein, zwei Wochen gut erholt“, sagt Christiane Haupt. Sie hat den Segler in der Nacht operiert, seine Wunden versorgt und ihm ein Schmerzmittel gegeben. Seit sechs Uhr ist sie wieder auf den Beinen, die anderen Patienten wollen gefüttert werden.

Die 50-jährige Tierärztin leitet die Mauerseglerklinik in Frankfurt-Griesheim. Um die 70 Vögel befinden sich derzeit in ihrer Obhut, es waren auch schon mal mehr. Aus ganz Europa werden ihr Tiere gebracht - Gefieder kaputt, die Köpfe von Krähen zerhackt, die Flügel gebrochen.

Mauersegler verbringen fast ihr ganzes Leben in der Luft. Im Mai kommen sie aus Afrika, brüten, ziehen Junge groß und fliegen rund drei Monate später schon wieder zurück. In den Städten sausen sie durch die Häuserschluchten und jagen nach Insekten.

Drüben auf Station sitzen die Notfälle in weißen Plastikkisten. Paarweise, denn die Tiere sind gesellig. Da ist Picasso, der in frische Betonfarbe fiel. Morgane, die von einer Krähe malträtiert wurde. Oder Franca, 14 Tage alt. Jemand fand sie auf der Straße, vermutlich war sie aus dem Nest gefallen. Grace aus Monaco, die einen Gefiederschaden hatte, weil man sie falsch fütterte. „Hackfleisch wahrscheinlich oder Katzenfutter. Das ist fatal. Mauersegler sind reine Insektenfresser, die dürfen nichts anderes bekommen außer Insekten und Spinnen“, erklärt die Tierärztin.

Auf Menschen ist sie nicht gut zu sprechen. Weil sie überall bauen, den ganzen Sommer lang. „Ganze Kolonien werden einfach zugebaut. Und die Jungvögel verhungern hinter den Gerüsten, wenn sie nicht vorher von den Bauarbeitern in den Schutt geschmissen wurden.“ Es gebe „wahnsinnige Bestandseinbrüche“, sagt Haupt.

Martin Kraft würde da wohl widersprechen. „Der Mauersegler ist nicht akut gefährdet“, sagt der Ornithologe, der an der Universität Marburg lehrt. Einrichtungen wie die Mauerseglerklinik seien begrüßenswert, aber nicht zwingend notwendig, um die Population zu stützen. „Es gibt Vogelarten, deren Bestände so dezimiert sind, dass es es auf jedes einzelne Individuum ankommt“, sagt er. Dazu zähle der Mauersegler aber nicht. „Im Marburger Raum haben wir in diesem Jahr doppelt so viele Segler wie 2013. Und in manchen ländlichen Gebieten hat sich der Vogel in den vergangenen Jahren sogar neu angesiedelt.“

Maik Sommerhage, Referent für Vogelschutz beim Naturschutzbund (Nabu) Hessen, sieht das anders. „Die Art ist sehr gefährdet. Es gibt Orte in Hessen, da gibt es gar keine Mauersegler mehr“, sagt er. In den vergangenen 20 Jahren habe es in einigen Regionen Einbrüche von bis zu 30 Prozent gegeben. „Es gibt zu wenig Brutplätze.“ Initiativen zum Schutz der Segler seien wichtig. Im Tierschutz gebe es aber immer Grauzonen, manche Methoden zur Rettung einzelner Individuen seien aus Sicht des Artenschutzes grenzwertig. „Aber die Mauerseglerklinik arbeitet professionell. Es ist bemerkenswert, was sie tun.“

Von falscher Tierliebe will Christiane Haupt nichts wissen. Der Begriff „aufpäppeln“ ist in ihrem Wortschatz verboten. Leide ein Segler zu sehr, schläfere sie ihn ein. „Hier bekommt wirklich jeder erstmal eine Chance. Aber wenn es nicht geht, geht es nicht. Wenn die lange hier sitzen und sich ihr Zustand sich nicht bessert, verändert sich auch ihr Wesen.“

Bei einem Praktikum hielt sie 1992 das erste Mal eines der filigranen Geschöpfe in der Hand. Anschließend gab sie ihren Beruf als Grafikerin auf und studierte Tiermedizin. Nebenbei nahm sie die ersten verletzten Vögel bei sich auf. Jahr für Jahr wurden es mehr. 2000 gründete sie die Deutsche Gesellschaft für Mauersegler, damals versorgte sie die Tiere noch in der eigenen Wohnung, drei Jahre später bekam die Klinik die ersten Räume.

Am Morgen wurde wieder einer gefunden, in Saarbrücken diesmal. Eva Brendel hängt gerade am Telefon und versucht, eine Mitfahrgelegenheit für den Vogel zu organisieren. Die Klinik finanziert sich durch Spenden. Das Geld sei immer knapp, allein die Futterkosten beliefen sich auf 50 000 Euro im Jahr, erzählt Brendel. Einen eigenen Fahrdienst könne man sich nicht leisten. Über Internetportale suchen die Helfer deshalb nach Fahrern, die bereit sind, einen Mauersegler mit nach Frankfurt zu nehmen.

Brendel ist in der Klinik das „Mädchen für alles“, wie sie sagt. Etwa 25 ehrenamtliche Helfer gibt es. Drüben im Trainingsraum lässt ein Mann gerade Vögel fliegen. „Die meisten sind nach ihren Verletzungen steif. Sie müssen trainieren und neue Muskeln aufbauen“, erklärt Brendel. Nebenan im Raum füttert eine Helferin. Mit einer Pinzette schiebt sie einem Vogel Grillen in den Rachen. Pro Mahlzeit bekommen die Tiere etwa zwei bis drei Gramm Heimchen und Steppengrillen.

Nach den Operationen dauere es nicht lange und der Vogel könne drüben im Trainingsraum das erste Mal wieder fliegen, sagt Haupt. Dann naht der Moment des Abschieds. „Wenn er drüben perfekt seine Runden fliegt, gehen wir mit ihm ans Fenster und lassen ihn raus.“