Die Gute-Laune-Macher: Entertainment auf der Kreuzfahrt
Hamburg (dpa/tmn) - Das Showprogramm spielt vor allem auf großen Kreuzfahrtschiffen eine wichtige Rolle. Die Reedereien investieren Millionen. Allein beim deutschen Branchenführer Aida Cruises stehen 570 Künstler unter Vertrag.
Der Saal erinnert eher an eine Turnhalle als an ein Kreuzfahrtschiff. Die Markierungen auf dem Boden könnten gut als Basketballfeld durchgehen. „Das sind die verschiedenen Bühnentypen, die wir auf unseren Schiffen haben“, erklärt Melanie Sievers von Aida Cruises. Im Hintergrund stehen schwarze Stellwände. Sie sollen die LED-Wände darstellen, die sich auf den Schiffen finden.
Hier in St. Pauli, nur einen Katzensprung von der Großen Freiheit entfernt, schlägt das Herz von Aidas Entertainment-Abteilung. Erst 2013 wurde das Haus eröffnet. Neben den Proberäumen haben Schneider, Maskenbildner, Choreographen und natürlich der riesige Fundus an Kleidern und Kostümen hier ihr Zuhause. Mit 570 Darstellern und rund 18 000 Gästen jeden Tag auf allen derzeit zehn Schiffen ist Aida Cruises einer der ganz Großen der Unterhaltungsbranche.
Viele Reedereien investieren massiv in das Entertainment. „Je nach Größe und Möglichkeiten der Schiffe sowie abhängig von der inhaltlichen Ausrichtung einer Kreuzfahrt, spielt das Entertainment an Bord eine unterschiedliche Rolle“, sagt Torsten Schäfer, Sprecher des Deutschen Reiseverbandes (DRV). Das heißt: Bei einer Expeditionskreuzfahrt ist das Ziel natürlich deutlich wichtiger als die Show an Bord. Auf kleineren Schiffen stehen zum Beispiel Lesungen und Vorträge auf dem Programm. „Bei den Megalinern aber hat der Stellenwert von Entertainment enorm zugenommen“, so Schäfer. „Da gibt es immer spektakulärere Entwicklungen. Die Reedereien müssen sich immer etwas Neues einfallen lassen - nicht zuletzt, um Wiederholer nicht zu langweilen.“
Das gilt auch und vor allem für das Showprogramm. So holen zum Beispiel die großen amerikanischen Reedereien ganze Broadway-Produktionen an Bord. Auf der neuen „Norwegian Escape“, die in diesem Jahr an den Start gehen wird, ist das Musical „After Midnight“ zu sehen. Bei Royal Caribbean wird zum Beispiel auf der „Quantum of the Seas“ „Mamma Mia!“ gezeigt. Die deutschen Reedereien gehen einen anderen Weg - und setzen vor allem auf eigene Produktionen. Bei Tui Cruises zum Beispiel gibt es allein auf der neuen „Mein Schiff 3“ während einer 14-Tages-Fahrt 30 verschiedene Shows, das Ensemble umfasst 22 Darsteller. Diese werden zwei Monate lang in Berlin auf ihren Einsatz vorbereitet.
Bei Aida Cruises in Hamburg findet gerade im Proberaum ein sogenanntes Put-in statt: Zum ersten Mal proben Sänger und Tänzer gemeinsam, zuvor übten sie getrennt. Schon in wenigen Wochen geht es für sie aufs Schiff. Die Trainerin gibt Anweisungen: Hand nach oben, Schritt zur Seite - für manche Gesangskünstler ist das Tanzen auf der Bühne ungewohnt. Die Tänzerinnen sitzen derweil am Rand und wischen sich den Schweiß von der Stirn. Die Proben sind Schwerstarbeit.
Gerade einmal sechs bis acht Wochen Vorbereitungszeit bleibt den Ensembles. Dann müssen alle Shows sitzen, die während der Kreuzfahrten aufgeführt werden. Das sind pro Künstler bis zu 16 verschiedene, vom 45-minütigen Musical bis zur Soloshow. „Leute, die bei uns arbeiten, müssen viel und schnell lernen“, sagt Ursula Maile, die für die Entwicklung der Shows bei Aida zuständig ist. „Es gibt nicht so viele Künstler, die das können, was wir wollen.“
Neben erfahrenen Künstlern, die bereits zum wiederholten Mal an Bord sind, gibt es immer wieder Neulinge. Pro Jahr finden vier bis fünf Castings in der ganzen Welt statt, um neue Künstler zu finden. Viele peppen mit einem Engagement auf einem Schiff ihren Lebenslauf auf.
Bei den Artisten, die ein Stockwerk höher gerade proben, ist das nicht anders. Eine riesige Glasscheibe an zwei Seiten des Raumes gibt den Blick nach draußen frei. Doch dafür haben die Künstler kein Auge. Konzentriert warten sie auf ihren Einsatz am Seil. Schnell und galant klettern sie daran hinauf, verknoten sich, lassen sich im Takt der Musik kontrolliert herunterfallen.
Im Keller des Hauses befindet sich eine riesige Halle voller Klamotten. „Schlagerhölle“ steht an einer Kleiderstange, auf der sich bunte Hosen und Oberteile aufreihen. Wenn wieder mal auf einem Schiff ein neues Ensemble die Show „Schlagerhölle“ aufführt, können die Dresser hier fündig werden. Wenn nicht, werden die Schneider aktiv und fertigen das Kostüm neu an. „Hier ist nichts von der Stange oder vorproduziert“, erklärt Sievers. „Bis zur kleinsten Rüsche wird alles in Hamburg erstellt.“ 18 500 Kostüme sind pro Jahr im Einsatz. Allein das Schuhregal ist bestimmt zehn Meter lang und vier Meter hoch.
Im Fundus bekommt man auch eine Vorstellung davon, welche Logistik hinter den Shows steckt - ganz abgesehen vom Bühnenbild. Rund vier bis sechs Wochen vor dem Start einer Reise werden die Kostüme per Container zum Schiff geschickt. Rund 60 Teile benötigt jeder Künstler.
Nicht nur die Kostüme sind wichtig, auch die Maske. Und für die sind die Künstler selbst verantwortlich. An Bord der Schiffe gibt es keine eigenen Maskenbildner. So lernen die Künstler während der Probephase auch das Schminken. Für die Zeit an Bord bekommen sie dann einen dicken Ordner mit Bildern und Schritt-für-Schritt-Anleitungen. Ein bisschen erinnert das an Malen-nach-Zahlen.
Nur wenige Straßen von den Proberäumen entfernt hat Borris Brandt sein Büro. Der ehemalige Programmdirektor von Pro 7 und Geschäftsführer von Endemol Deutschland ist seit 2011 Direktor von Aida Entertainment. Er denkt vor allem über die Zukunft von Entertainment auf Kreuzfahrtschiffen nach. Wie wird Entertainment in fünf oder zehn Jahren aussehen, Herr Brandt? Zwei große Trends gebe es. „Entertainment wird deutlich destinationsbezogener“, lautet die erste These. Deutsche Kreuzfahrer erwarteten auf Reisen auch Informationen über das jeweilige Fahrtgebiet. Das muss nicht immer der klassische Lektor sein. „Man kann das auch spielerisch machen“, erklärt Brandt. „Fun facts oder moderne Kultur sind genau so spannende Inhalte wie Geschichte.“
Der zweite Punkt ist die Individualität. „Die Ansprüche der Passagiere werden immer unterschiedlicher“, sagt Brandt. Derzeit versuchen die meisten Reedereien, mit ihren Shows möglichst den Geschmack der breiten Masse zu treffen - nach dem Motto „Die Stones gehen immer“. Künftig werde aber deutlich mehr parallel stattfinden: im Theater eine Show, auf dem Deck eine Poolparty, in der Disco der DJ, Livegesang in einer Bar. „Da kann sich jeder dann das raussuchen, was ihm am besten gefällt.“
Szenenwechsel: Irgendwo zwischen Hamburg und dem norwegischen Bergen auf der Ostsee steht Jenny Woo mit ihren Kollegen auf der Pooldeckbühne der „Aida Luna“. Mit Inbrunst singt sie Songs von Elvis Presley und Joe Cocker. Noch ist es eine Probe, erst am Abend steht der Auftritt an.
Woo ist seit 2012 wieder bei Aida Cruises, schon früher arbeitete sie mal bei der Rostocker Reederei, zwischendurch auch bei Musicalproduktionen. „Da singst du jeden Abend die gleiche Show, hier wiederholt sich das erst in zehn Tagen wieder“, sagt sie. „Die Vielseitigkeit reizt mich, an Land würde mich es mittlerweile langweilen.“
Dafür, dass an Bord alles passt, ist Dominik Spickermann verantwortlich. Als Showmanager legt er fest, welche Show an welchem Tag gespielt wird, koordiniert die Proben, hält das Ensemble bei Laune. Das besteht immerhin aus sechs Sängern, acht Tänzern, zwei Schauspielern, drei Artisten, zwei Licht-, zwei Ton- und zwei Bühnentechnikern sowie zwei Dressern.
„Wir sind die Wichtigsten an Bord“, sagt Spickermann mit einem Lachen. „Wir kreieren die Stimmung, die am Abend über das ganze Schiff getragen wird.“ Wenn zum Beispiel Abba läuft, seien die Leute danach automatisch in guter Laune. Doch natürlich wird nicht jeden Abend Abba gespielt. Das Development Team in Hamburg gibt den Showmanagern auf den einzelnen Aida-Schiffen eine Liste an möglichen Shows mit auf die Reise, daraus stellen diese das Programm zusammen.
Klingt ganz einfach, ist es aber nicht, versichert Spickermann. „Ich kann nicht alle Rockshows gleich an den ersten Abenden raushauen. Das Ganze braucht eine Spannungskurve, einen roten Faden.“ Und natürlich muss für jeden etwas dabei sein. 22 verschiedene Shows gibt es beispielsweise auf einer Zehntagestour. Dazu gehört seit kurzem auch ein eigenes „Aida Luna“-Musical. „Nayeli“ heißt es. Zudem gibt es auf den Aida-Schiffen zwei Fernsehformate, für die die Reederei die Lizenz erworben hat: „The Voice“ und „Wer wird Millionär“. Auf der Bühne stehen dabei Passagiere, die während der ersten Tage der Fahrt gecastet werden, in der Jury sitzen Offiziere.
Auf der „Aida Luna“ steht „The Voice“ auf dem Programm. Da schmettert dann ein Förster mit Hosenträgern „New York, New York“, singt eine ältere Dame im Abendkleid eine Arie („Das singen wir immer im Chor“), klammert sich eine Jugendliche, die mit ihren Eltern auf Kreuzfahrt ist, schüchtern an den Mikrofonständer. Wie im Original dürfen sich die Coaches - vom General Manager bis zur Hausdame - ihre Favoriten auswählen, ohne sie zu sehen. Den Sieger bestimmt am Ende das Publikum per Voting. Alles wie im Original - bis hin zum Bühnenbild und den Stühlen der Coaches, die allerdings mit Muskelkraft gedreht werden müssen.
Überhaupt kann sich die Entertainment-Technik auf den Aida-Schiffen sehen lassen: eine Bühne mit sechs bewegbaren Elementen, LED-Wand, Sternenvorhang, Mikrofone, mit denen die größten Popstars auftreten. „Jedes Stadttheater wäre neidisch auf uns“, sagt Spickermann.
Nur mit ein paar Einschränkungen muss man an Bord im Vergleich zu einem Theater an Land leben. Wenn zum Beispiel der Seegang zu stark ist, muss das Artistik-Programm ausfallen. Disconebel darf nur sparsam eingesetzt werden. „Wir geizen damit ungern, aber sonst würden die Rauchmelder sofort anspringen“, sagt Spickermann. Und bei der Lasershow am Pooldeck muss vorher erst die Erlaubnis der Brücke eingeholt werden, damit möglicher Gegenverkehr nicht geblendet wird.