Alpenüberquerung auf dem Pferd: „Brennt’s Arscherl denn schon?“
Alpenüberquerung einmal anders: Hoch zu Ross von Oberbayern nach Tirol. Da können die Kühe nur staunen.
Aurach. „Radl von vorn“, ruft die Rittführerin. Und: „Hintereinander rechts halten!“ Schon brausen zwei Fahrräder an der Reitergruppe vorbei. Das Kommando erklingt oft, denn Oberbayern gefällt vielen Urlaubern, und so müssen Reiter die Wege mit Autos, Fußgängern und eben Fahrradfahrern teilen. Die Pferde stört das am wenigsten.
Der Blick vom Sattel fällt auf den Wendelstein. Beim Wanderritt durch das bayerische Alpenvorland gerät der markante Berg immer wieder ins Blickfeld.
Im Schritt geht es durch eine Landschaft wie im Bilderbuch, vorbei an alten Bauernhöfen mit überbordender Geranienpracht, an Fleckvieh auf saftigen Weiden und an Marterln, den typischen Kreuzen am Wegesrand, die auch den Reiter an die Endlichkeit erinnern.
Südlich von Aurach führt die Forststraße aufwärts in die Berge. Die Haflinger und Großpferde kommen ins Schwitzen, bis der Spitzingsee auf 1084 Meter über dem Meeresspiegel erreicht ist.
Die Gruppe reitet direkt an dem Bergsee entlang bis zum Blecksteinhaus. In dieser einsam im Wald gelegenen Hütte wird übernachtet: die Reiter drinnen im Bett und die Pferde draußen im Wald.
Am nächsten Tag geht es durch die Gebirgsenge Valepp über die Grenze nach Österreich. „Diesen viertägigen Ritt von Oberbayern nach Tirol machen wir zwei- bis dreimal im Jahr“, sagt Valerie Konrad von der Pferderegion Oberbayern-Tirol.
Das Hauptgeschäft ihres Pferdestalls Steinreb nahe dem Irschenberg sind eigentlich Kinderreitferien. Der Reitstall ist einer von mittlerweile rund 80 Pferdebetrieben, die sich zum Verein Pferderegion Oberbayern-Tirol zusammengeschlossen haben.
Die Europäische Union unterstützt das Projekt. Das Angebot reicht vom klassischen Reitunterricht über Ausritte und Kutschfahrkurse bis zum mehrtägigen Wanderreiten.
„Für den Ausbau neuer Reitwege ist viel Geld investiert worden“, erklärt Nicole Schad von der Pferderegion. Im Jahr 2007 eröffnete die erste Wanderreitstrecke, jetzt kam eine Teilstrecke bei Fischbachau dazu. Dennoch bietet die dicht besiedelte Region kein typisches Wanderreit-Wegenetz mit langen Galoppstrecken in einsamer Natur. Vielmehr geht es um das Genießen einer Kulturlandschaft vom Sattel aus. Und dazu gehören Stationen zum Einkehren — mit einer Koppel für die Pferde und Kaiserschmarrn mit Kompott für die Reiter.
Die Einheimischen zeigen sich interessiert an den Rosserinnen und ihren Rössern. „Brennt’s Arscherl schon?“, wird da amüsiert gefragt, wenn sie hören, dass die Reitergruppe in vier Tagen satte 150 Kilometer zurückgelegt hat.
Die Kühe auf den Almen wirken ebenso neugierig wie ihre zweibeinigen Betreuer. Ein Almbauer begrüßt die „Weiberleut’ auf’m Ross“ gleich mit einer Lektion in korrektem Öffnen von Weidegattern. Bei einem Obstler aus der Satteltasche kommt der alte „Grantler“ schnell in versöhnliche Stimmung.
Nahe dem Rofangebirge in Tirol geht es durch eine wild zerklüftete Schlucht am Fluss Brandenberger Ache entlang. „Früher wurde dieser Canyon für die Holzdrift, den Transport von schwimmenden Baumstämmen, geflutet“, erklärt Alexandra Entner vom Reitstall Wiesenhof in Pertisau und trabt im Westernsattel mit ihrem argentinischen Pferd an den hohen Felswänden vorbei.
Die Tirolerin führt regelmäßig Ausritte in der Gegend rund um den Achensee, den die Reiter gerade erreichen. Vom Sattel aus haben sie einen weiten Blick auf den von Bergen umschlungenen See, der türkisfarben in der Sonne glitzert. An einem zugänglichen Uferstück scharren die Pferde mit den Hufen im glasklaren Wasser.
Auch die Reiter nehmen am Ende des Ritts ein Bad, nicht im kalten Achensee, sondern im heißen Badewasser mit Steinöl. Es wird aus regionalem Schiefergestein gewonnen und entspannt die malträtierten Muskeln.