Auf den Spuren des Fado durch Lissabon
Lissabon (dpa/tmn) - Fado ist der portugiesische Blues. In Lissabon wird diese traditionelle Musik bis heute zelebriert - und damit ein typisch portugiesisches Lebensgefühl. Wer den Rhythmus der Hauptstadt spüren will, muss sich auf die Spuren dieser Musik begeben.
„Schschschttt“ - so klingt es, wenn der Fado sich ankündigt. Das Licht in der Bar wird gedämpft, die Gespräche verstummen. Dann steht einer der Alten auf. Er hebt die Hände, als ringe er mit etwas. Ein Wehklagen kommt aus seiner Brust. Ist jemand gestorben? Nein, das ist nur ein Fadolied. Am Ende lächelt der Sänger selig, und die Zuhörer tun es ebenso. Wer nach Lissabon reist, hat unweigerlich solche Szenen vor Augen. Die Stadt am Tejo gilt als ein Zentrum des Fado. Er ist in Portugal das, was der Flamenco in Spanien ist. Eine Musik, eine Tradition, ein Lebensgefühl. Wer sich ihr nähert, erfährt eine Menge über die Stadt und die Menschen in ihr.
Fado, klar, das sind ein paar feurige Gitarreros und herzzerreißender Gesang. Inzwischen ist er offiziell geadelt worden: Seit 2011 gehört der Fado zum Weltkulturerbe der Unesco. Aber was steckt hinter dieser Musik? Eine Spurensuche.
Die erste Spur führt ins Fado-Museum, ein rosafarbenes Haus mitten in der Alfama, der Altstadt Lissabons. In den engen Gassen hängt die Wäsche, die Alten stecken die Köpfe aus dem Fenster. Alte Laternen tauchen das Ganze abends in ein gelbes Licht, man läuft durch die Gassen wie durch einen vergilbten Film.
Heute hängt hier an jeder Ecke ein Schild: „Heute Fado!“ Es gibt Fado-Shows mit und ohne Kostüme, manche Gaststätten schmücken sich mit Schildern wie „Casa de Fado“. Gegen 21.00 Uhr, zur Essenszeit, tönt es aus allen Ecken der Altstadt. Aber ist das der echte Fado? Oder nur Touristen-Nepp?
„Fado ist mehr als Musik - er ist ein Ausdruck des typisch portugiesischen Lebensgefühls“, sagt Ricardo, der durch das Fado-Museum führt. Die Lieder seien Ausdruck der Saudade, ein Wort, das sich schwer übersetzen lässt. In ihm schwingt Sehnsucht mit. Und Wehmut. Fado sei aber nicht nur traurige Musik, betont Sara Pereira, die Direktorin des Fado-Museums. Er könne durchaus auch fröhlich klingen.
In jedem Fall hat Fado etwas Nostalgisches. Das passt zu Lissabon mit seinem morbidem Charme. Die hügelige Stadt am Tejo lebt vom Prunk vergangener Tage und wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen.
„Fado war eine Arme-Leute-Musik, die aus den Arbeitervierteln der Stadt kommt“, erklärt Pereira. Früher hätten die Prostituierten so ihr Leid geklagt. Zunächst wurden die Lieder mündlich weitergegeben, erst später hielten Noten und professionelle Musiker Einzug in diese Tradition. Diese Aufteilung merkt man bis heute.
Zum Beispiel nachts, wenn im Partyviertel Bairro Alto das Leben erwacht. Dort spielt sowohl die Profi- als auch die Amateurliga. Es werden Fado-Shows mit viel Brimborium für Touristen in den Restaurants geboten, aber auch Amateure zeigen in kleinen Bars ihr Können.
In den Amateurbars gilt das Prinzip der offenen Bühne. „Jeder kann mitsingen“, ermutigt Pereira. Also los, rein ins „Tasca do Chico“, wo sich gegen zehn Uhr abends schon die Leute stapeln. Dann, um halb zwölf, ist es endlich soweit: Die Gitarren werden serviert. Ein weißhaariger Sänger legt los, der ein wenig so aussieht, als sei er eben aus dem Buena Vista Social Club entsprungen. Schade nur, dass nebenan die Bässe aus den Discos wummern und Fußball auf großen Leinwänden läuft. Saudade kommt dabei noch nicht so recht auf.
Nächster Versuch: Dann lassen wir mal die Profis ran. Zu ihnen gehört Mario Pacheco. Er hat auf seiner dickbauchigen portugiesischen Gitarre schon Amalia Rodriguez begleitet, die von 1920 bis 1999 gelebt hat und bis heute eine Ikone des Fado ist. Heute leitet er den Clube de Fado, eine Institution in der Alfama.
Am nächsten Tag glitzert der Tejo in der Sonne wie ein Versprechen vom süßen Leben im Süden. Ist es das vielleicht, wovon die Fadistas singen, der Fluss und dahinter das Meer? Ist es die Klage der Frauen, die auf ihre Männer warten, die auf hoher See sind? Nein, das denken viele, sagt Pereira vom Fado-Museum. „Aber das ist nur ein Mythos.“
Ein Mythos? Ja, das gilt wohl auch dafür, dass es in Lissabon einfach wäre, wirklich typische Fadomusik zu erleben. Gibt es die hier überhaupt noch? Langsam verliert man auf der Suche die Hoffnung.
Dann, eine kleine Bar in der Altstadt, am Ende einer Straße, die steil hinaufführt. Dort singt heute Daniela Varela. In einer Pause erzählt die dunkelhaarige Schönheit, dass sie Portugal schon einmal beim Eurovision Song Contest vertreten hat und eigentlich nur zum Spaß ab und zu in Amateurbars auftritt.
Auf einmal wird das Licht abgedunkelt. „Schschschttt“ macht es, und zwei Männer greifen sich die Gitarren. Daniela Varela setzt zu singen an und hebt die Hände, als ringe sie mit etwas. Ein Wehklagen kommt aus ihrer Brust. Es gibt keinen Discolärm, keine lauten Touristengruppen, keine Kostüme, keine Show. Nur die Sängerin, die Gitarren und einen Haufen Leute, die mucksmäuschenstill lauschen. Am Ende lächelt sie selig. Und die anderen im Raum auch. „Temos Fadista!“, „wir haben einen neuen Fadista!“ rufen die Leute in der Kneipe. Endlich, da ist es, das Gefühl: Das ist der Fado.