Bad Wimpfen: Mautstelle in 32 Metern Höhe
Auf dem Blauen Turm der Kaiserpfalz am Neckar lebt Deutschlands einzige Türmerin.
Düsseldorf. Die Besteigung des Blauen Turms der Kaiserpfalz in Bad Wimpfen beginnt nicht selten so: Unten steht ein Bierkasten, darauf liegt ein Zettel, und darauf steht: "Wer mich drei Treppen hoch trägt, bekommt ein Freibier!"
Solche Scherze mit praktischem Nutzwert sind typisch für Blanca Knodel, die 32 Meter über der Stadt einen der ungewöhnlichsten Privathaushalte Deutschlands führt: eine mittelalterliche Turmklause mit 53 Quadratmetern verwinkelter Wohnfläche und 134 Stufen bis zur Haustür. Da kann man sich eben nicht wegen jeder Kleinigkeit mal eben so nach unten bewegen.
Blanca Knodel ist Türmerin von Beruf. Die einzige Türmerin bundesweit, die permanent oben wohnt und nicht nur morgens ihr Kassenhäuschen aufschließt und abends wieder zu. Die Besucher staunen, wenn sie mühevoll das Treppenhaus erklommen haben.
Geschichten von Kaisern und Königen begegnen ihnen dort, von Staufern und Stadtvätern, von Kriegen und Bränden, die dem Wahrzeichen am höchsten Punkt der der Stadt zugesetzt haben. Kurz vor der Aufsichtsplattform werden sie in die Gegenwart zurückgeholt: Eine Frau mit kastanienbraunem Haar macht das Fenster auf, grinst aus dem Kassenhäuschen heraus und sagt: "Guten Tag, das hier ist die Mautstelle, einsfünfzig bitte. Wenig Geld für so viele Treppen."
Das kleine Reich, in dem die Kassiererin lebt: Ein gemütlicher Wohnzimmertisch steht vor einer Eckbank, Bilder und Bücher zieren die Wände - wenige Blicke von außen reichen schon, um sich romantische Vorstellungen vom Leben unter dem Turmdach zu machen.
Die 3,30 Meter hohe Einraum-Wohnung hat die Amtsinhaberin anfangs sogar noch mit ihren drei Kindern geteilt. Heute liegt nur der Hauskater auf dem Bett, die Kinder sind aus dem Haus, der Ehemann ebenso: "Er war auch Türmer und ist irgendwann getürmt."
Entspannt ist Blanca Knodels Verhältnis auch zu den meteorologischen Gefahren auf der Höhe: 1701, 1848 und 1984 brannte der Dachstuhl samt Türmerwohnung nach Blitzschlägen aus. "Statistisch also alle 150 Jahre," stellt sie lapidar fest und betont stattdessen den romantischen Erlebniswert von Blitz und Donner, wenn man mit einem Glas Wein über den Dächern der Stadt sitzt.
Nun kann man sich als Besucher auch noch erklären lassen, wie das Klavier beim Einzug durch das Treppenhaus bugsiert wurde und wie es gelang, während des vielbelebten Weihnachtsmarkts den Whirlpool in den Dachstuhl zu hieven. Dass Bad Wimpfen seit dem 16. Jahrhundert eine ununterbrochene Türmertradition besitzt, Frau Knodel einer der ältesten Familien Bad Wimpfens entstammt und ihre Vorgänger dafür zuständig waren, die Einwohner vor feindlichen Angriffen zu warnen.
Oder man besinnt sich auf seine ursprüngliche Absicht, und geht die verbleibenden 33 Stufen zur Aussichtsplattform hinauf. Auch sie ist ein Erlebnis, zusammen mit dem Blick auf die malerische Altstadt und die stattlichen Reste der besterhaltenen Kaiserpfalz nördlich der Alpen.
Den will Blanca Knodel nie wieder aufgeben. Einmal Türmerin, immer Türmerin. Auch wenn man dabei nicht reich wird und oft tagelang die Wohnung nicht verlässt. Dafür kommen die Menschen zu ihr nach oben. Mit oder ohne Bierkasten.