Ein Zuhause auf dem Wasser
Hier kann jeder einmal der Kapitän sein: Hausboote lassen sich ohne Führerschein fahren.
Kreuzfahrten sind in. Aber mit 2000 oder 3000 anderen Passagieren den Urlaub auf dem Wasser zu verbringen, das ist nicht jedermanns Sache. Die individuelle Alternative heißt Hausbooturlaub: Einmal selbst Kapitän sein - und das ohne Führerschein.
Die Müritz ist das Mittelmeer der Hausboote. Statt der "Queen Mary 2" liegt in Waren zum Beispiel die "MS Elke" am Kai. An Bord sind nur zwei Erwachsene und zwei Kinder. 112 Quadratkilometer misst der größte deutsche Binnensee, damit ist die Müritz das Herzstück der Mecklenburgischen Seenplatte. Nirgendwo in Deutschland gibt es eine derartige Hausboot-Dichte.
Kapitän sein ohne Bootsführerschein - das geht hier, nach einer Einweisung. Anlegemanöver, einfache Seemannsknoten, kleine Schleusenkunde: Das sind einige Lektionen vor dem ersten "Leinen los!". Länger als drei Stunden dauert der Unterricht nicht, dann gilt das Prinzip "learning by doing".
Dazu bietet das Mecklenburger Revier ideale Bedingungen, nicht nur auf den Seen, sondern auch auf der Müritz-Elbe-Wasserstraße. Die Route führt durch 17 Schleusen und über 184 Kilometer bis nach Dömitz. Dort an der Elbe beginnt die Tabuzone: Auf dem Strom ist der "Sportbootführerschein Binnen" Pflicht. Wer die küstennahen Gewässer und Bodden befahren will, braucht den "Sportbootführerschein See".
"Weniger ist mehr" lautet für Hausboot-Neulinge das Motto. Eine großzügige Törn-Planung schützt vor dem Stress einer rasanten Rückreise. Für alle Fälle klebt im Führerstand die Nummer der Hausboot-Hotline, falls der Unterschied zwischen Back- und Steuerbord verwischt ist oder in der Schleuse die Scheidung droht. Denn auch die Aufgabenverteilung an Bord sollte vorher klar geregelt sein, gerade bei Hausboot-Greenhorns.
Der Schwabe Harald Kuhnle spürte gleich nach der Wende den Trend. 1990 kaufte er vier Boote und stationierte sie in Waren. Heute hat er hier die größte Flotte, einen eigenen Hafen und sogar eine eigene Werft. In Rechlin an der kleinen Müritz steht das Imperium von Kuhnle-Tours. In einer Werfthalle werden hier die "Kormorane" endmontiert, die Luxusboote der Hausbootreederei. Statt eines Kunststoff-Chassis hat dieses Schiffmodell einen echten Stahlrumpf und - was das Manövrieren extrem erleichtert - ein Bugstrahlruder.
Je nach Größe sind unter Deck bis zu vier Kabinen untergebracht, alle mit variablen Doppelbetten und eigener Nasszelle. Dazu kommt eine Pantry; der Steuerstand ist im Salon, dem Aufenthaltsraum des Hausbootes. Oben gibt es das Sonnendeck, im Heck eine Badeplattform mit Dusche. Hausboote sind multifunktional, hier hat alles seinen praktischen Zweck, denn Stauraum ist kostbar.
Die Wochenpreise für ein Hausboot in der Hochsaison variieren von weniger als 1000 Euro für die kleinsten Boote bis 4000 Euro für den größten "Kormoran", der zehn Urlaubern Platz bietet.
Neben der Müritz sind vor allem die französischen Wasserstraßen bei Hausbooturlaubern beliebt.Führerscheinfrei geht es zum Beispiel durch Lothringen und das Elsass. Der Anbieter Nicols hat hier seine Marina in Saverne, gegenüber des prunkvollen Rohan-Schlosses.
Die Fahrt auf dem Marne-Rhein-Kanal gehört zu den schönsten und eindrucksvollsten Passagen. Und so mancher Freizeit-Kapitän erlebt auf dieser Strecke eine Überraschung: Gleich zwei Vogesen-Tunnel müssen die Hausboote auf dem Weg nach Straßburg durchqueren. Spektakulär ist das Schiffshebewerk Saint-Louis-Arzviller. Mit einem fahrbaren Trog werden die Schiffe fast 50 Meter hinauf oder hinunter gehievt. Dafür ersparen sie sich 17 Schleusen. Allerdings gibt es davon auch so noch genug - und sie werden in dieser Region durch die Hausboot-Skipper selbst bedient. Und wen nach solchen Erlebnissen der nautische Ehrgeiz packt, kann an einem Wochenende seinen Hausboot-Führerschein machen, zum Beispiel beim Charterpoint Müritz. Kosten inklusive Prüfungsgebühr: 240 Euro.