Eine Stadt mit besonderem Flair
Santiago de Chile lockt mit schicken Vororten und Besonderheiten, wie außergewöhnlichen Cafés mit einer langen Tradition.
Irgendwo in der Innenstadt von Santiago de Chile: An einer Häuserwand, über einem großen gläsernen Schaufenster, steht „Café con piernas“. Drinnen eine Kasse und ein langer Tresen. Daneben ein paar einfache Tische. Schnell wird klar, hier bestellt der Gast an der Theke. Und schnell wird klar, das ist kein normales Café. Eine Frau steht an der Kaffeemaschine. Eine andere hinter der Kasse. Beide sind nicht mehr ganz jung. „Hier herrscht Aufgabenteilung, bestellt wird bei mir, ich gebe Ihnen einen Bon, damit gehen Sie zu meiner Kollegin“, erklärt die eine Dame einem älteren Herrn. Nach längerer Beobachtung stellt sich heraus, dass sich die Damen tatsächlich kaum von Platz bewegen.
Soweit alles noch normal. Doch die Kleidung ist für ein Café ungewöhnlich. Vielmehr erinnert sie an das horizontale Gewerbe: Das winzige Oberteil ist tief dekolletiert, der Rock ein breiterer Gürtel, dazu sehr hochhackige Pumps. Guckt man hintern den Tresen, sieht man erstaunlich viel Bein. Das ist Absicht, denn die Damen stehen auf einem Podest. Café con piernas heißt Café mit Beinen. Das Konzept ist tief in der chilenischen Gesellschaft verwurzelt. Es stammt aus den 60er-Jahren und sollte bei der männlichen Bevölkerung für Entspannung sorgen. Wer gestresst ist, geht in ein Café con piernas, bestellt einen Kaffee, wird von einer sexy gekleideten Frau bedient, bekommt ein paar liebe Worte mit auf den Weg und auch schon mal die Wange gestreichelt. Kurz dem Alltag entfliehen und die Sorgen vergessen, das ist Sinn und Zweck dieser chilenischen Tradition.
Ob das das auch heute noch funktioniert, ist schwer zu sagen. Aber vermutlich schon, denn Santiago ist trotz seiner sieben Millionen Einwohner eine entspannte Stadt. Besonders Sonntagvormittag ist die riesige Metropole wie ausgestorben. Vor 14 Uhr bewegt sich kaum ein Mensch auf die Straße, sagte Miguel. Dann nutzt der 37-jährige Amerikaner, der der Liebe wegen vor vielen Jahren nach Santiago kam, die breiten Boulevards zum Fahrradfahren. „Die Chilenen feiern gern, und das besonders am Samstagabend. Schließlich ist Sonntag der einzige Tag, an dem sie ausschlafen können“, erzählt er.
Den Nachmittag verbrächten die meisten auch nicht in der Stadt, sie fahren raus ins Grüne. Wer es sich leisten kann, hat eine Ferienwohnung am Meer. Und das müssen ziemlich viele sein, denn die gesamte Küstenstraße nördlich und südlich von Santiago de Chile ist mit riesigen Appartementhäusern zugebaut. Gefühlt hat jeder Einwohner Chiles ein Domizil am Meer.
In der Hochsaison, von Dezember bis Februar, findet das Leben an der Küste statt. Von Santiago ist man in eineinhalb Autostunden am Pazifik.
Beliebte Badeorte sind Viña del Mar, Cartagena und Maitenchillo. Letzteres gilt als Sommerresidenz der wohlhabenden Chilenen. Die Hauptstadt Santiago ist Vorzeigeort für das chilenische Wirtschaftswunder.
In den Nobelvierteln Vitacura, Las Condes oder Providencia verstecken sich hinter Zäunen und Mauern Villen. Davor parken zwei, drei Autos. Ein Cabrio, ein SUV und eine Limousine. Gertenschlanke Frauen joggen mit Hund und neuesten Markenklamotten durch gepflegte Parkanlagen der eleganten Wohnviertel.
Oder sitzen mit anderen gertenschlanken Frauen in schicken Restaurants und Cafés, während Haus und Grundstück von Hausmädchen und Gärtnern aus ärmeren südamerikanischen Ländern wie Bolivien, oder neuerdings auch aus dem krisengeschüttelten Venezuela, gepflegt werden. Von der Dachterrasse des Hotels Cumbres Vitacura hat man einen guten Blick auf die luxuriösen Anwesen mit ihren schicken Swimmingpools im Garten.
Doch der Schein trügt. Wie fast alle südamerikanischen Länder wird auch Chile die Korruption nicht los. Und die damit verbundene Armut breiter Bevölkerungsschichten vorwiegend in den Stadtteilen im Westen und Süden der Hauptstadt. Und auf dem Land. Seit 2015 gehen die Chilenen auf die Straße und protestieren gegen die Verstrickung von Politik und Wirtschaft.
Doch beim Spaziergang durch die unterschiedlichen Stadtviertel bekommt der Besucher von Armut vergleichsweise wenig mit. Stattdessen offenbaren Santiagos Gassen koloniales Flair und moderne Architektur sowie immer wieder ein spektakuläres Andenpanorama. Außerhalb der Armenviertel Cerro Santa Lucía und Cerro San Cristóbal ist die Kriminalitätsrate gering.
Nach Einbruch der Dunkelheit sollte man die Parks meiden und wie fast überall auf der Welt auf Taschendiebe achtgeben. Das gilt besonders für eine Fahrt mit der U-Bahn. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten des kolonialen Santiago befinden sich im sicheren Zentrum rund um die Plaza Armas und lassen sich entspannt zu Fuß erkunden. Lässiger, fast schon mediterran, geht es in Santiagos neuem Trendviertel, Barrio Italia, zu. Das „Little Italy“ von Santiago de Chile erstreckt sich entlang nur einer Straße, der Avenida Italia. In den 1920er-Jahren siedelten sich dort italienische Immigranten an. Heute bummelt man an Antikshops, Ateliers, kleinen Boutiquen und entzückenden Cafés vorbei. Im Bario Italia zeigt Santiago sein Bohemien-Gesicht.
Die Autorin reiste mit Unterstützung des chilenischen Fremdenverkehrsamtes.