Grenada: Dunkle Wolken über dem Paradies
Für den Urlaub hat die Insel einiges zu bieten, doch viele junge Leute verlassen sie.
Grenada. Dunkle Wolken hängen am Himmel, werden immer größer und schwerer. Dann schüttet es. Plötzlich und heftig. Die Straße verwandelt sich binnen Sekunden in einen breiten Bach, der rasend schnell bergab fließt. Nach ein paar Minuten ist es vorbei, der Himmel wieder blau. Dampfend steigen Nebelschwaden aus dem Asphalt, zu der 30-Grad-Hitze kommt eine Luftfeuchtigkeit von etwa 90 Prozent. Die Sonne sticht. Was eben noch wie der Weltuntergang aussah, ist jetzt wieder ein Paradies aus bunten Farben — typisch Karibik.
Doch Grenada ist nicht so ganz typisch Karibik. Die Strände haben keinen weißen Puderzuckersand oder Palmen, und das Wasser ist nicht so strahlend türkis wie erwartet — auch nicht auf der Seite des Karibischen Meeres. Also sollten Ferien auf Grenada nicht nur als Strandurlaub geplant werden, sondern auch für Wanderungen und Touren über die gesamte Insel. Und für Begegnungen mit den Menschen, Einheimischen wie Zugewanderten.
„Wir fühlen uns hier unglaublich wohl, das Leben macht viel mehr Spaß.“ Sabine Lenz schaut auf den Strand, trinkt eine Zitronenlimo. Vor acht Jahren hat sie mit Ehemann Jochen beschlossen, auf Grenada zu bleiben. Nachdem sich beide während eines Urlaubs in diese Insel der Kleinen Antillen verliebt hatten.
Deutschland schon Jahre zuvor verlassen, haben sie zunächst Tauchschulen in Ägypten geleitet. „Damit haben wir auch auf Grenada angefangen“, sagt Jochen. Denn die Korallen vor der Küste sind mindestens genauso schön wie im Roten Meer. Im Februar 2014 hat das Paar seine Tauchschule verkauft und wollte nach Deutschland zurückkehren. „Je näher der Tag rückte, desto schlechter haben wir uns gefühlt“, gesteht Sabine. „Wir haben lange überlegt, dann haben wir die Flüge gebucht. Aber alle Klamotten hier gelassen“, sagt Jochen lachend. Urlaub in der Heimat Speyer und Heidelberg — mehr wurde es nicht. Denn kurz vor dem Abflug kauften sie einen Weinhandel: Wine & More Grenada. Und da es keinen Laden gibt, sondern nur auf Bestellung geliefert wird, haben sie nun viel mehr Freizeit.
„Jetzt lernen wir die Insel erst richtig kennen“, erzählt Jochen und zeigt auf einer Karte die zahlreichen Wanderregionen. In den Bergen der Inselmitte. In den dichten tropischen Wäldern gibt es zahlreiche Wanderpfade, ausgeschildert sind nur wenige. „Man kann dort einfach draufloslaufen“, beschreibt Sabine ihre Touren. Feste Schuhe sind Pflicht, denn die unmarkierten Wege sind schlammig von Regen und Feuchtigkeit.
Sattes Grün umgibt den Wanderer, Pflanzen mit riesigen Blättern, gigantische Farne und meterhohen Bambus — der Regenwald Grenadas wirkt unangetastet. Wasserfälle brechen rauschend über die Felsen, sprudeln in kleine steinerne Becken. „Wer alle sehen will, muss am Ende in den Bergen klettern“, sagt Telfor Bedeau. Der 75-Jährige ist eine Wanderführer-Legende auf der Insel, allein schon wegen seiner Gummilatschen, mit denen er sogar Bergtouren unternimmt.
Seven Sisters heißen die sieben Wasserfall-Schwestern, die sich bei St. Margaret als Kaskaden vom South East Mountain stürzen. Wasserfälle hat Grenada reichlich: Überall in den Bergen locken sie als touristisch attraktive Punkte, oft mit kleinem Souvenirshop oder Kindern, die für ein paar Münzen und Fotos aus einigen Metern Höhe von einem Felsen in die kalten Fluten springen.
Ebenso schlammig sind die Wege durch die alten Plantagen von Belmont Estate. Dort braucht Telfor zwar nicht seine Pfade erst mit der Machete freizuschlagen, die feuchte Hitze macht aber auch die Wege durch Bananenstauden, Mango- und Brotfruchtbäume beschwerlich. In den Plantagen wächst alles: Kakao, Süßkartoffeln, Avocado, Mandeln, Papaya und natürlich Muskatnuss. Letztere exportiert Grenada in die ganze Welt.
Überall duftet es nach Zimt und Ingwer. Grenada, die Gewürzinsel. Die geernteten Muskatnüsse werden auch heute noch von Hand sortiert, zum Trocknen ausgelegt und schließlich für den Verkauf aus ihrer dunklen Schale entfernt. Frauen sitzen mit Mundschutz gegen den Staub an hölzernen Verteilstationen, um sie herum hunderte Säcke mit Nüssen oder Abfallprodukten. Eine stupide Arbeit ohne Perspektiven, schlecht bezahlt — aber immerhin ein Job. Bei 40 Prozent Arbeitslosen auf der Insel zählt jeder Dollar.
Körperlich schwere Arbeit leisten die Bauern auf den Plantagen. Ein Grund, weshalb die jungen Leute die elterlichen Betriebe oft nicht übernehmen. „Die Jugend will in die Stadt“, bedauert auch Telfor, der selbst eine Plantage besitzt. Doch es herrscht nicht nur Landflucht auf Grenada — es herrscht Inselflucht. Obwohl die Hauptstadt St. George’s mit den Tourismusgebieten im Süden eine gute Infrastruktur, Jobs, Shops, Hotels, Marina, Restaurants und Bars sowie tolle Strände zu bieten hat.
Auch Einwanderer gibt es kaum. Sabine und Jochen Lenz schätzen, dass etwa 100 Ausländer auf Grenada wohnen. Nicht wegen ihres Jobs, sondern weil ihnen die Gelassenheit und Freundlichkeit der Menschen so gut gefallen, weil es immer warm ist und wegen des Gefühls, ein Stück vom Paradies für sich zu haben.
Die Autorin reiste mit Unterstützung von Condor und der Grenada Tourism Authority.