Reise-Berichte Jumeirah Beach (Dubai): Der Strand, an dem alles begann

Ein Tag in der Biografie eines Traumstrandes: Jumeirah Beach — oder wie aus einer Kleinstadt am Golf ein Ferienziel wurde.

Foto: dpa/ Marcus Brandt

Eine halbe Stunde nach Einbruch der Dunkelheit sind nur noch die Träumer am Strand. Die, die im Stillen auf einer Liege oder im warmen Sand sitzen, auf den hellen Mond schauen, auf die Sterne warten und darauf, dass das Burj al Arab in 400 Metern Entfernung im Minutentakt die Farbe der beleuchteten Teflonfassade zu wechseln beginnt. Darauf, dass sie erst in Orange, später in Violett und bald darauf in Grün erstrahlt. Die anderen, die hier den Tag in der Sonne verbracht haben, sind bereits gegangen. Dorthin, wo jetzt das Leben spielt: in die Bars mit der lauten Musik, die Lounges mit den chilligen Klängen, die Restaurants mit und ohne Bauchtänzerinnen.

Foto: Helge Sobik

Ein Vater hockt diesen Abend noch auf den Knien neben seinem kleinen Sohn ganz vorn im Sand nur haarscharf außerhalb der Reichweite der sanften Wellen des Persischen Golfs. Sie bauen keine Burgen mehr wie früher, sie bauen Türme ganz inspiriert von der Umgebung. Aus Sand. Verziert mit Steinchen und Muschelschalen. Und der Kleine arbeitet nun bei Dunkelheit weiter — wie es sich für Dubai gehört.

Es ist der Strand, an dem alles begann. Der Strand, an dem das erste Küstenhotel Dubais stand. „Chicago Beach“ hieß es, war anfangs vor allem Quartier für Zugereiste, die mit der Offshore-Ölindustrie zu tun hatten und lag damals noch etwa 20 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums im Nichts. Die letzten 200 Meter Wüste bis zum Saum der Wellen nannten Fremde, die es dorthin verschlug, „Strand“. Sie lobten ihn als schön und sauber. Für die Einheimischen blieb es die Wüste: die Gegend, in der sie leben.

Die Leute erzählen sich eine Geschichte, wonach die Karriere des Emirates als Urlaubsdestination mit einer Zufallsbegegnung begann. Scheich Mohammed bin-Rashid, einer der Söhne des damaligen Herrschers, fuhr demnach mit seinem Geländewagen an diesem Strand spazieren und sah in der Ferne eine Familie. Sie wollte gerade im Golf schwimmen, als der Herrschersohn seinen Wagen stoppte und sie fragte, woher sie kommen und wie es ihnen in seiner Heimat gefiele. Aus Deutschland seien sie, im Urlaub. Gekommen wegen der herrlichen Sonne, der Hitze sogar. Sie seien hier, weil keine Wolken am Himmel sind. Weil der Strand so schön ist, das Meer flach abfällt, mit 27 Grad Wassertemperatur herrlich warm und weil Dubai von ihrem Zuhause nur fünfeinhalb Flugstunden entfernt sei.

Sie schwärmten dem fassungslosen Herrschersohn in einer Weise von seiner Heimat vor, in der er sie nie gesehen hatte. An den Strand gingen die Einheimischen allenfalls lange nach Einbruch der Dunkelheit, um Feuer zu machen, zusammen zu singen, zu plaudern. Das Meer war für sie eine Fläche, auf der sich Schiffe bewegten. Heute ist derselbe Mohammed bin-Rashid al Maktoum Herrscher von Dubai. Und heute gibt es knapp 95 000 Hotelzimmer und -appartements dort, hunderte tägliche Flüge in alle Himmelsrichtungen. Und noch immer ist Jumeirah Beach der schönste Strand dieses Emirates. Es ist der Strand, an dem alles begann.

Das „Chicago Beach Hotel“ wurde schon 2001 abgerissen und durch das erheblich größere „Jumeirah Beach Hotel“ ersetzt. Wenig später folgte das „Burj al Arab“, 2004 dann der „Madinat Jumeirah“-Komplex wiederum direkt an diesem Strand. Betreiber ist jeweils die Hotelgruppe Jumeirah — an der die Herrscherfamilie 99,67 Prozent der Anteile hält.

Spät in der Nacht ist es so still wie früher an diesem Strand: nur das Rauschen des Meeres, gegen Morgen der eine oder andere Schrei eines Seevogels sind zu hören. Und das Knirschen der eigenen Schritte. 53 Mitarbeiter sind für die Sauberkeit des Sandes zuständig, die erste Schicht beginnt noch bei Dunkelheit und entfernt Algen und Treibgut der Nacht. Und ebenfalls noch bevor die Sonne den Horizont für Momente in milchig-rotes Licht tunkt, sind bereits die ersten Jogger unterwegs. Nur Minuten später beziehen die Rettungsschwimmer in ihren rot-weißen Uniformen ihre 44 Hochsitze auf zwei Küstenkilometern Hotelstrand. Aus den Boxen einer Beachbar schallt bald Ravels „Bolero“, und schnell herrscht Betrieb, planschen Kinder im Wasser, werfen sich Erwachsene Bälle zu, schwimmen Badenixen ihre Runden.

Matt Lotter schaut in relaxte Mienen. Seine Muskeln scheinen eigentlich für ein zwei Nummern größeres T-Shirt gemacht zu sein, mit seinem kahlen Kopf und dem breiten Grinsen wirkt er wie eine gut gelaunte Mischung aus Hollywood-Star und Zeichentrick-Figur. Matt aus Kapstadt ist Boss am Beach und zuständig dafür, dass jeder vom Strand mit einem zufriedenen Gesicht in die Hotels zurückkehrt. Was ihm am besten gefällt? „Der Morgen am Strand. Im Winter, wenn es in der Frühe noch frisch ist und tagsüber wieder warm wird. Der Morgenkaffee mit Blick auf den Golf.“

Am Nachmittag ist da plötzlich der alte Chinese in Badehose, der allen in seiner Umgebung aufzufallen scheint: Weil er anders aussieht als die anderen, als dieser Menschen-Mix in Strandsachen. Seine Badehose mag vor ein paar Jahrzehnten modern gewesen sein. Unbekümmert stürzt sich der Mann mit dem Konfuzius-Bärtchen ins Wasser, schwimmt wie ein Fisch, braucht sich kaum zu bewegen, um dennoch allen anderen in größter Eleganz davonzueilen und plötzlich so sehr dazu zu gehören wie sie. Es sind Deutsche, Engländer, Russen, Latinos, Asiaten, wenige Araber. Jeder hat über die Kulturgrenzen hinweg ein paar Urlaubstage lang dieselbe Freude am warmen Wasser, am Strand, auch an den Cocktails.

Amna Hassan al-Jallaf arbeitet in Madinat Jumeirah — und wenn sie sich nach Feierabend mit Freunden trifft, dann gehen sie gemeinsam an den Strand: nicht an diesen Abschnitt, sondern an einen öffentlichen, der nicht bewirtschaftet wird und sich nördlich anschließt. Sie tun es wie immer, wie ihre Vorfahren. „Wir sind es gewohnt, im Sand zu sitzen. Es gehört zu unserer Kultur“, erzählt sie und zupft ihren schwarzen Schleier zurecht. Sie breiten ein großes Stück Stoff aus, picknicken gemeinsam bis tief in die Nacht. Aus Baden machen sie sich nichts und überlassen es den Fremden von weither ein paar hundert Meter entfernt. Dort, wo einst das „Chicago Beach“ stand.

Der Autor reiste mit Unterstützung von Madinat Jumeirah.