Mit „Hamsterbacken“ auf Deutschlands ältester Fernbahnstrecke
Dresden/Leipzig (dpa) - Vor 175 Jahren fuhren die ersten Züge zwischen Leipzig und Dresden dreieinhalb Stunden. Heute schaffen ICE-Triebwagen die Strecke in gut einer Stunde. Aber noch immer bietet die erste deutsche Ferneisenbahn Nostalgie.
Der Regionalexpress 17070 rollt mit einem leichten Ruck pünktlich auf die Minute aus dem Dresdner Hauptbahnhof. „Bis Leipzig brauchen wir planmäßig eine Stunde, 36 Minuten“, sagt Lokführer Andreas Gruhle und beschleunigt die beiden gekuppelten roten Talent-II-Triebwagen. Bahnfans nennen die Elektrozüge wegen der markanten Front nur „Hamsterbacken“.
Die rund 115 Kilometer lange Verbindung zwischen Dresden und Leipzig über Riesa ist Deutschlands erste und damit älteste Fernbahnstreckeund seit 7. April 1839 komplett in Betrieb. Für Eisenbahnromantik hat Gruhle aber bei seiner täglichen Arbeit kaum Zeit. Nicht sonderlich aufregend sei die Strecke, sagt der 49-Jährige, der 1982 als Lehrling bei der Deutschen Reichsbahn begann. Er fährt täglich Nahverkehrszüge von Dresden aus nach Görlitz, Großenhain, Zittau oder Zwickau.
Ganz langweilig ist aber auch die Fahrt nach Leipzig nicht: In Radebeul-Ost etwa dampft ein ganzes Stück die Schmalspurbahn nach Moritzburg nebenher. Wenig später, kurz hinter dem aus einem Nachkriegsschlager bekannten Bahnhof Kötzschenbroda, zwingt ein rotes Signal zum Halt. „Hier wird gebaut, wir haben nur ein Gleis“, erklärt Gruhle. Und der Fahrdienstleiter in Coswig hat einer entgegenkommenden S-Bahn aus Meißen Vorfahrt gewährt.
Somit wird der „Saxonia“-Express - das ist der Markenname der Regionalverbindung - wohl fünf Minuten Verspätung bis Leipzig haben. Bei 16 Haltestellen gibt es kaum eine Chance, die verlorene Zeit aufzuholen. In Niederau passiert der Zug eines der ältesten Bahnhofsgebäude Deutschlands, das 1842 im Schweizerhaus-Stil errichtet wurde und inzwischen keine Funktion für den Bahnverkehr mehr hat.
Die letzten Weinberge der Anbauregion Meißen weichen Streuobstwiesen, der Zug rollt in einen tiefen Einschnitt. Hier befand sich der Oberauer Tunnel, der in den 1930er Jahren aufgeschlitzt wurde, um der Eisenbahn mehr Platz zu geben. Ein fast vergessenes Denkmal aus Tunnelsteinen erinnert noch an das Bauwerk.
Auf schnurgerader Strecke geht es schließlich in Richtung Leipzig. Am Bogendreieck Zeithain stehen Bahnfans mit Kameras. Sie grüßen den Lokführer, eigentlich halten sie aber nach seltenen Privatbahn-Loks Ausschau, die mit Güterzügen vorbeikommen.
Viele Loks und auch die modernen Triebwagen des „Saxonia“-Expresses stammen aus diesem Jahrtausend. Die „Hamsterbacken“ schaffen 160 Kilometer pro Stunde. Wann die Strecke zwischen Coswig bei Dresden und Riesa endlich grundlegend modernisiert wird, können die Verantwortlichen des Bahnkonzerns nicht sagen. Trotzdem kann Lokführer Gruhle wenig später zeigen, was in den spurtstarken Regionaltriebwagen steckt.
Zwischen Riesa und Oschatz ist die Strecke in den 90er-Jahren für ICE-Züge mit Geschwindigkeiten bis 200 Stundenkilometer ausgebaut worden. Draußen fliegt die Landschaft vorbei. Der Zug nähert sich Leipzig. Einsame Felder weichen Industriegebieten und Siedlungen, immer mehr Pendler steigen zu.
Inzwischen rollt der Regionalexpress über scheinbar verschlungene Schienenwege und ein Wirrwarr aus Weichenverbindungen auf das Gleis 19 des Leipziger Hauptbahnhofs. Etliche Fahrgäste warten schon und Lokführer Gruhle muss sich sputen. Ihm bleiben knapp zehn Minuten, in denen er an den Wagen entlang zum anderen Ende laufen und dort die Software für die Rückfahrt starten muss. „Sonst bewegt sich der Zug keinen Meter.“