„Nicht wie in eurem Land“ - Kulturclash in Äthiopien
Addis Abeba (dpa/tmn) - Aus dem Fels geschlagene Kirchen, Busse ohne Scheinwerfer und Google einmal analog. Äthiopien ist als Urlaubsziel nicht nur exotisch - sondern auch ein riesiger Geschichten-Fundus.
Endlich Urlaub! Das noch offene Reiseziel führt zu Diskussionen. Beirut? Zu instabil. Rio? Zu weit weg. New York? Zu Mainstream. Äthiopien? Äthiopien! Als einziges Land in Afrika nie kolonisiert, birgt die Heimat des Kaffees im Osten des Kontinents jahrtausendalte christliche Kultur, verstörende Busfahrten und Tänzerinnen, die beweglich und hüftsteif zugleich sind. Fünf Begegnungen aus einem Land, in dem einäugige Volksmusiker Violine spielen und die Straßenverkäufer Google alt aussehen lassen.
„This is Africa!“
Vor dem Flughafen von Addis Abeba drücken sich am frühen Morgen einige gelangweilte Taxifahrer um ihre Autos und rauchen. Zum Busbahnhof, da könne er die beiden Touristen mit den großen Rucksäcken schon hinbringen, sagt einer von ihnen in holprigem Englisch. Allerdings fahre der Bus nach Bahir Dar, einer Stadt am malerischen Tanasee einige hundert Kilometer nördlich der äthiopischen Hauptstadt, erst in vier Stunden.
Die kurze Fahrt durch Addis - vorbei an spärlich beleuchteten Hütten und einigen wenigen sterilen Glasfronten - endet in einem dunklen Hinterhof. Der Fahrer empfiehlt, im Wagen zu bleiben: Für Fremde sei es hier ein heißes Pflaster. Ein schlecht gelaunter, weil gerade geweckter Wachmann erklärt den Bus für voll. „Aber den haben wir doch im Internet gebucht“, insistiert die Rückbank naiv. Der Taxifahrer schüttelt den Kopf und erklärt: „Das ist nicht wie in eurem Land. This is Africa!“
Google weit voraus
Man mag über das Für und Wider personalisierter Werbung im Internet streiten. Einmal nach dem Rührstab „Küchenfee“ gesucht, ist die digitale Endlosschleifen-Reklame für Küchenmixer nicht mehr aufzuhalten. Google und Konsorten scheinen das Prinzip auf den Klosterinseln des Tanasees bei Bahir Dar kopiert zu haben.
Nach der Landung mit einem kleinen blauen Boot führt der gewundene Pfad durch dicht bewachsene Wälder zu den hölzernen Klöstern aus dem 13. und 14. Jahrhundert. Den Weg dorthin säumen Verkaufsstände mit Schmuck, Holzgefäßen oder Maria-Porträts auf Kuhhaut. Konkurrenz unter den Händlern scheint es keine zu geben. Im Gegenteil: Die Händler leisten gemeinsame Überzeugungsarbeit. Einmal eine Kette begutachtet, wieder zurückgelegt und selbst wahnwitzige Rabattangebote ausgeschlagen, verbreitet sich der Mitbringsel-Wunsch entlang des Pfades. Wo man auch hingeht: Das Wissen um das eine, potenzielle Andenken ist schon da. „Hey, Ferenji“, rufen sie schon von weitem. „Hallo Fremder, schau dir meine schönen Ketten an“.
Stand für Stand wird wortreich gestikuliert. Und aufs Neue die Ketten angepriesen. Personalisierte Werbung eben. Weich geklopft vom Spießroutenlauf reichen die Besucher schließlich Scheine über einen der Tische. Ob die Beute - gewissermaßen als Belohnung für eine geschlossene Teamleistung - geteilt wird, ist unbekannt.
Im Bus umnachtet
Glimmende Räucherstäbchen parfümieren den Raum. Auf dem Boden des ramponierten Busses liegt büschelweise Gras. Auf den Halmen im Mittelgang: ein Ersatzrad und eine Brechstange. Etwa 25 Einheimische und zwei westliche Touristen schaukeln dicht gedrängt über beeindruckende Gipfelpässe von Bahir Dar in die ehemalige Hauptstadt Gondar.
Viele kauen die berauschenden Khat-Blätter und spucken die Reste auf den Fahrzeugboden. Hinter der abblätternden Plastikverschalung von Sitz 23 hat jemand die Anleitung zur Benutzung eines Kondoms geklemmt. Daneben klebt ein Bild von Jesus am Kreuz.
Die Serpentinen hinunter bekommen die Bremsen Arbeit. Sie qualmen bald bedrohlich. Außerdem haben die Reifen so viel Profil wie ein frisch gebohnerter Marmorboden. Die Äthiopier in der kleinen Höllenmaschine kratzt das wenig. Auch, als es um den Bus dunkel wird, bleiben sie gelassen. „Die Scheinwerfer funktionieren nicht“, sagt der junge Lehrer vom Platz nebenan. Ob das nicht gefährlich sei? Die Einheimischen lachen herzhaft.
Kirchen aus dem Fels
Es muss ein immenser Gottglaube gewesen sein, der die Bewohner von Lalibela im 12. und 13. Jahrhundert antrieb. Ein neues Jerusalem wollten sie bauen, so wie es ihr Herrscher, König Lalibela, zuvor leibhaftig im Nahen Osten erlebt hatte. Die Arbeiter schlugen elf Kirchen in den Fels der Region und trugen ihn ab, bis frei stehende Gotteshäuser übrig blieben. Die Monolithen sind durch ober- und unterirdische, enge, dunkle und feuchte Wege verbunden.
Die Stadt ist ein mystischer Fleck auf 2600 Meter Höhe. Früh am Morgen, wenn die ersten Sonnenstrahlen in die heiligen Hallen aus Stein fallen, kommen die Einheimischen zum Gebet. Durch die Räume hallen die gemurmelten Gebete der Priester.
Auf ein letztes Bier...
Eine Menge Injera - das omnipräsente, saure Fladenbrot - und das lokale Bier tun auf dem Nachhauseweg vom Lokal ihr Übriges. Der nasse und dunkle Matschweg ist mit schweren Beinen und Augenlidern eine Herausforderung. Dennoch: Ein letzter Drink soll die harte Matratze im Hotel weicher machen. Am Straßenrand erregt eine kleine Steinhütte mit bunten Lichterketten Aufmerksamkeit. Trommelbeats dröhnen nach draußen.
Im Inneren sitzen fünf Einheimische stoisch vor ihren Bieren und lauschen. Ein Einäugiger in einer grünen Tracht quietscht auf einer Art einsaitiger, äthiopischer Violine, die Masinko genannt wird. Zu seiner Rechten donnert ein junges Mädchen auf hölzernen Trommeln. Plötzlich springen drei junge Tänzerinnen auf. Hüfte und Becken bewegungslos zucken sie mit den Schultern - vor und zurück in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Als zwei Männer an der Bar zum Mitmachen aufgefordert werden und bereitwillig folgen, nehmen die Besucher aus Deutschland einen nervösen, tiefen Schluck aus der Flasche. Der Blick geht zu Boden - jetzt bloß nicht auffallen. Vergebens: Eine Tänzerin streckt lächelnd ihre Hand aus. Zögernd folgen sie auf die Tanzfläche. Und bereuen auch danach nicht, in dieses Land gekommen zu sein.