Same same, but different - Ein Wiedersehen in Thailand
Koh Phi Phi (dpa/tmn) - Diese Reise dauert nun schon mehr als 25 Jahre. Jetzt, hier oben, ist sie endlich am Ziel. Oder wieder am Anfang, da, wo sie begonnen hat. In Thailand, 1988.
Als Kind mit elf Jahren auf diesem Aussichtspunkt von Koh Phi Phi. Lange vor dem Film „The Beach“, der diese Insel berühmt gemacht hat. Die erste Fernreise. Palmenstrände, buddhistische Tempel und exotisches Essen - das war aufregend und abenteuerlich, ein echtes Erlebnis. Jetzt, gut 25 Jahre später, ist dieses Wiedersehen auch eine Suche nach diesem Gefühl. Und nach den Bildern im Kopf von damals.
Rückblende: Aufstehen! Mama und Papa sind heute aber früh auf. Wir sollen auf irgendeinen Aussichtspunkt. Was die Eltern da immer wollen? Andere Kinder fahren nach Italien und spielen den ganzen Tag am Strand. Nur ich muss hier durch dieses grüne Dickicht den Berg hinauf. Okay, das Meer und der Strand hier sind auch nicht schlecht. Aber die Mücken nerven echt. Endlich, wir sind oben. Ist das heiß. Na toll, hier gibt es nicht mal eine Eisbude. Nur Palmen!
Schnitt. Genau, das ist die Stelle. Der Aussichtspunkt. Ringsum die Palmen, der grüne Hügel gegenüber. Unter einem der schmale Streifen Strand, der die beiden Inselteile von Koh Phi Phi Don zusammenhält. Das Bild im Kopf und die Szene vor einem decken sich, das Puzzle fügt sich zusammen. Ist das heiß. Und ja, die Moskitos nerven. Warum einen Berg besteigen? Weil er da ist. Blöder Spruch. Aber vielleicht auch einfach die einzige sinnvolle Erklärung. Jedenfalls überzeugt sie offenbar die vielen Touristen, die heute hierherkommen. Getränke werden inzwischen auch verkauft. Auf dem Weg zurück raschelt es im Gebüsch - vermutlich eine der Schlangen, vor denen der Hotelier gewarnt hat. Wenigstens etwas, womit man hinterher noch angeben kann. Er wollte einen erst aufhalten: Mister, wo wollen Sie denn hin? Dort ist doch nur grüner Dschungel! Oh, nein. Hier ist noch viel mehr als das. Zumindest war es das.
Der Blick geht hinüber zu Koh Phi Phi Leh, dem unbewohnten Teil der Insel, wo das Boot einen gestern in der Maya Bay abgesetzt hat. In der Bucht, die im Film „The Beach“ als der Geheimtipp unter Rucksackreisenden galt. Klar ist man hier heute nur noch einer von vielen Touristen und kein Entdecker mehr wie die Eltern damals. Als es noch keine Billigflieger gab und allein der lange Flug hierher schon ein Erlebnis war. Ein paar Einsiedler gibt es immer noch, die sich in Höhlen zurückgezogen haben und am Traum vom Leben auf einer abgeschiedenen Insel festhalten. Das wirkt irgendwie seltsam. Wie in der Zeit stehengeblieben. Ab und zu hält ein Boot vor den Höhlen, damit die Touristen ein Foto machen können.
Die Maya Bay selbst sieht immer noch aus wie eine Fototapete vom perfekten Tropenstrand, mit ihrem türkisfarbenen Wasser, das von Felsen eingerahmt wird. Und natürlich greift man unwillkürlich wie jeder Tourist sofort zur Kamera und will ein Bild von dieser Bucht knipsen, wie es sie schon tausendfach im Internet gibt.
Was aber gar nicht so einfach ist. Denn etwa ein Drittel des Bildes füllen die Boote für die Urlauber aus, die sich hier aneinander drängen. „Ihr habt Glück, dass ihr jetzt kommt“, sagt unser Bootsführer. „In der Hauptsaison ist das hier komplett voll.“ Jetzt ist Regenzeit, also Nebensaison. Dann ist es leerer, grüner und günstiger in Thailand. Eine gute Zeit zum Reisen, auch für die Rucksackurlauber, die hier weiter nach dem nächsten exotischen „The-Beach“-Strand und dem ultimativen Geheimtipp suchen. Wo der wohl heute ist? Geheim dürfte er nicht lange bleiben - dank Twitter und Co, die jeder Backpacker unterwegs auf dem Smartphone dabeihat.
Apropos Smartphone: Wie ist man eigentlich früher hier ohne Handy und Google Maps gereist? Film ab: Bangkok 1988, am Abend. Fiiisch! Mit Flossen! Blubb, blubb. Aus dem Meeeer. Der Taxifahrer versteht nicht. Erst ein Fischgroßhandel, dann der Hafen. Endlich: ein Markt! Ja, wir wollen etwas zu essen! Viele Stände, an denen Dinge brutzeln, die es bei uns zu Hause nicht gibt. Das sieht ja komisch aus. Riecht auch komisch. Den Eltern scheint es zu gefallen. Mama, gibt's hier auch Fischstäbchen? Nein? Warum sind wir dann so lange hierhergekurvt?
Schnitt. Szenenwechsel: der Nachtmarkt in Krabi. Heute bin ich derjenige, der sich nicht sattsehen und -essen kann. Hier, probier mal: süßer, klebriger Reis in Bananenblättern. Das macht Appetit auf mehr. Einen Stand weiter gibt es gelbe und pinkfarbene Würstchen. Freiwillige vor! Die Freundin winkt ab und tätschelt einen sanft: Ruhig, Brauner! Hier gibt's noch jede Menge Stände. Sie nimmt erst einmal einen Schluck aus einer frisch aufgeschlagenen Kokosnuss. Und kauft sich dann etwas, das wie Sushi aussieht, nur viel bunter. Ob einem von alldem hinterher nicht furchtbar schlecht wird? Und wie hygienisch diese Stände hier wohl sind? Egal, das muss jetzt sein! Das letzte Würstchen ist feurig scharf, es duftet nach Gewürzen, auf dem Boden sitzen Kinder und hämmern auf fremdartigen Instrumenten herum, einen Takt, den man als Europäer nicht versteht. Schade, wir müssen zurück ins Hotel, der Busfahrer wartet schon.
Nächster Tag, nächster Ausflug. Ein Ziel ist der Tigerhöhlen-Tempel Wat Tham Sua bei Krabi, bei dem es laut unserer Führerin 1237 Stufen hinaufgeht. Andere schreiben auch von 1260 oder von 1273. Man kommt offenbar leicht durcheinander bei so vielen Stufen. Wir sind gespannt. Unten weht einem ein weihrauchartiger Geruch entgegen. Das weckt Erinnerungen an die erste Begegnung dieser Art. Schnitt. Stufen. Ein Tor. Ein Tempel. Puh, ist das verqualmt hier drin! Das sind Räucherstäbchen, erklärt die Mama. Aha. Seltsam, dass die so viele davon auf einmal anmachen. Soll das die Mücken vertreiben? Wie die das den ganzen Tag aushalten. Und warum haben die Mönche die Haare so kurz? Ist denen zu heiß?
Ende der Einspielung, zurück zur Liveübertragung. 647, 648, 649. Nur noch etwa 600 Stufen bis zur Erleuchtung. Die wollen wir heute erreichen. Die Führerin hatte abgeraten. Dauert zu lange und ist zu anstrengend. Wir sind trotzdem gegangen. Das T-Shirt klebt am Körper. Die Luft ist heiß und feucht. Warum einen Berg besteigen? Schon gut, also weiter. Die Stufen sind hoch, schmal und schief. Durch das Geländer blickt man tief nach unten. Schöne Aussicht eigentlich. Dumm nur, wenn man nicht schwindelfrei ist.
Endlich, die letzten Stufen. Oben eine riesige Buddhastatue. Wie klein man selbst daneben aussieht. Der Blick geht weit über die Ebene, der Wind zerzaust die Haare. Man steht auf diesem Felszahn, hoch oben über den Dingen und weit weg von allem da unten, einsam in der Natur. Hoppla, was sagt das Schild da? Hier oben gibt es ja WLAN! Okay, ganz so weit weg von allem Irdischen ist man dann wohl doch nicht. Und der Mönch da, was macht der denn? Fotos mit einem iPad! Eben hat er zwei Touristen noch ein paar Regeln des Buddhismus erklärt. Technik-Abstinenz gehört offenbar nicht dazu. Ob der das jetzt auch auf Facebook oder Instagram postet?
Wieder unten angekommen, muss man an einer Horde Affen vorbei. Sie sind es gewohnt, von Touristen gefüttert zu werden. Wer das nicht macht, wird schief angeguckt. Dieser Blick, da war doch was. Genau, die Geschichte im Restaurant damals. Schnitt. Zurück im Restaurant. Die Coladose zischt beim Öffnen. Nanu, da sitzt ja ein Affe auf dem Nebentisch. Er guckt neugierig und kommt langsam näher. Der hat ja ein Halsband. Die Leine ist so lang, dass er sich offenbar im ganzen Restaurant bewegen kann. Gehört wohl dem Besitzer. Huch, jetzt setzt er sich auf meine Schulter. Mit den Fingern wuschelt er einem durchs Haar. Was macht er da nur? Na klar: Mich laust der Affe!
Schnitt. Ein anderes Restaurant, ein Wiedersehen mit seinen Artgenossen, gut 25 Jahre später. Ein Schrei! Alle Köpfe drehen sich zur Seite. Da sitzen sie wieder auf den Tischen. Die Touristin guckt entgeistert, als ein Affe sich ihre Pizza schnappt. Der Koch ist not amused. Er kommt angelaufen mit seiner langen Pizzaschaufel, mit der er sonst im Steinofen hantiert. Kurz kann er den Affen vertreiben, dann sitzt der schon wieder auf dem Tisch. Was machen die Touristen? Ziehen die Kameras und knipsen. Der Koch zuckt mit den Schultern. Was soll's? Das Essen war eh nicht mehr zu retten. Die Affen freuen sich und fressen seelenruhig weiter. Ein gutes Foto fürs Facebook-Profil ist für Urlauber heutzutage eben mehr wert als eine Pizza.
Ein anderer Tag, eine andere Bucht. Wir wollen zum Railay West Beach. Dorthin kommt man nur mit dem Boot. Ganz exklusiv. Jetzt in der Nebensaison muss man länger warten, bis das Boot voll ist. Der Fischer hat Zeit. Verhandeln ist schwierig. Englisch versteht er nicht. Moment, ich glaub, ich hab' ein Déjà-vu. Rückblick. Unterwegs mit dem Boot. Nur der Fischer und wir. Irgendwo an einem einsamen Strand. Wo ist die Sonnenmilch? Kind, du bist ja ganz rot. Das gibt einen Sonnenbrand. Besser das T-Shirt anziehen und mit Taucherbrille ab ins Wasser. Uih, Mama, da war ein lila Seestern! Soo groß! Später wollen wir zurück. Plötzlich ist es wellig und windig geworden. Puh, schaukelt das. Mama, ich hab' Angst! Der Fischer lächelt sein zahnloses Lächeln. Englisch versteht er kein Wort. Ob der weiß, wo es hier langgeht? Endlich, vor uns taucht das rettende Ufer auf.
Schnitt. Heute haben wir Pech: Kaum am Railay West angekommen, zieht ein Gewitter auf. Alle flüchten in ein kleines Restaurant, der Regen prasselt auf das Dach. Beim Essen ist das ganz gemütlich. Dann wird es dunkel. Langsam müsste man mal zurück. Wo ist eigentlich der Fischer hin? Vom Boot ist nichts zu sehen. Oh nein, wir sind gestrandet! Ah, ein Glück, er hat doch gewartet. Das Licht der Lampe fällt auf sein Gesicht: Er ist auf einem Auge blind. Mit dem sollen wir jetzt fahren? Die Wellen werfen das lange Boot auf und ab, es klatscht alle zwei Sekunden auf das Wasser. Die Freundin neben einem flucht. Der Fischer auch. Er steht barfuß am Heck auf dem glitschigen Holz und steuert das Boot um die Felsen. Ohne Licht. Ob der weiß, was er da tut? Endlich, vor uns taucht der Strand auf. Jetzt gibt es erstmal einen Whiskey. Prost! Auf die thailändischen Fischer! Auf die ist immer noch Verlass.
Zurück zum Anfang. Ein letzter Blick hinunter vom Aussichtspunkt, ein letztes Handyfoto. Später vielleicht mal posten, dann sieht es die Mama. Die ist inzwischen auch auf Facebook. Himmel, wie die Zeit vergeht! Die Sonne steht schon tief, höchste Zeit, zu gehen. Unten das endlose türkisblaue Meer. Eine Welle nach der anderen rollt auf den Strand zu. Wieder und wieder. Wie ein Uhrwerk, das nie aufhört. Oder wie ein Takt, den man nicht versteht. Am Ziel? Das ist vielleicht das falsche Wort. Nein, die Reise geht ja weiter. Und wer weiß, was es noch zu entdecken gibt. Wie viele Stufen waren es jetzt eigentlich genau am Tigerhöhlen-Tempel bis zur Erleuchtung? Mist, wir haben am Ende vergessen zu zählen. Ich fürchte, wir müssen noch einmal herkommen.