Mecklenburg-Vorpommern Schwerin mit Schloss und Bienen
Die Bundesgartenschau gab der Stadt im Nordosten Deutschlands den entscheidenden Impuls.
Schwerin. Es sind Kleinigkeiten, die diese Stadt groß machen. Schwerin ist mit 97 000 Einwohnern Deutschlands kleinste Hauptstadt. Dafür können die 1,6 Millionen Menschen, die in Mecklenburg-Vorpommern leben, stolz sein auf den schönsten Parlamentssitz aller 16 Bundesländer: Ihr Landtag ist in einem romantischen Schloss untergebracht, das in Reiseführern „Neuschwanstein des Nordens“ genannt wird. 2020, hoffen die Schweriner, könnte ihr Schmuckstück Unesco-Weltkulturerbe werden.
Fürsten und Kurfürsten haben das Schloss in seiner jetzigen Form aufgebaut und erweitert. Im 16. Jahrhundert im Stil der italienischen Terrakotta-Renaissance, im 17. unter dem Einfluss der niederländischen Renaissance. Dann verlegten die Herrscher ihre Residenz für 80 Jahre ins nahe Schloss Ludwigslust. Im 19. Jahrhundert wurde das Schloss wieder Fürstensitz und die Insel im Schweriner See, auf der es liegt, nach den Plänen so namhafter Architekten wie Demmler, Semper und Lenné zu einem der bedeutendsten Bauwerke des Romantischen Historismus in Europa ausgestaltet.
Schwerins historische Altstadt, vom Bombenkrieg weitestgehend verschont, erlebte im 20. Jahrhundert Jahrzehnte des Verfalls. Dann kam die Wende — mit Mitteln aus Europa und der Bundesrepublik wurden schöne, alte Fachwerkhäuser an gepflasterten Gassen und Straßen wieder wachgeküsst wie Dornröschen im Märchen. „Die Bundesgartenschau 2009 hat unserer Stadt den entscheidenden Impuls gegeben“, sagt Stadtführerin Teresa Beck. Schön ist es geworden in Schwerin.
Der Rundgang mit Teresa vermittelt in gerade einmal einer Stunde einen vielseitigen Eindruck vom unaufgeregten, bunten Leben dieser gepflegten Stadt in der Vergangenheit und Gegenwart. Vom Marktplatz zu Füßen des Doms geht es durch einen Torbogen auf den Schlachtermarkt, wo ein im plattdeutschen Lied „Herrn Pastor sien Kauh“ besungener Bronzebrunnen steht.
Ein Kleinod ist die alte Münzstraße bis zum Ziegenmarkt, auf der heute kunstfertige Handwerker und Designer ihre Lädchen haben: zum Beispiel „De Klockenschauster“ oder das Atelier Ziege, in dem drei Inhaberinnen Schmuck, kunstvolles Besteck und Webwaren von Hand herstellen. Und dann ist da noch das Lokal „Freischütz“. „Das hat die längste Öffnungszeit von ganz Schwerin“, erzählt Stadtführerin Teresa. „Das schließt erst, wenn der letzte Gast gegangen ist.“ Spezialitäten: Soljanka und Chili con Carne.
Die Entdeckungstour geht weiter zur nahen Schelfkirche Sankt Nikolai, in der 100 Jahre lang die Mitglieder der herzoglichen Familie in der Fürstengruft ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Die Schelfstadt, abgeleitet vom Wort Schilf, ist auf einer vorgelagerten einstmaligen Sumpf-Insel Schwerins gebaut.
Der Weg führt über die Puschkinstraße mit ihren malerischen Häusern. In einem ist das Café Rothe zu Hause. „Dort gibt es die leckersten Berliner der Welt“, sagen die Schweriner. In unmittelbarer Nähe steht das Neustädter Palais mit dem Goldenen Saal für besondere Festivitäten. Ansonsten hat das Justizministerium dort seinen Sitz.
Rechter Hand, die Friedrichstraße hinunter, liegt der Pfaffenteich. Benannt nach den Domherren, die dort einst im Gebet flanierten. Auf diesem See kann man die preisgünstigste Kreuzfahrt der Welt buchen: Das „Petermännchen“ läuft in 20-minütiger Fahrt vier Anlegestellen an — für zwei Euro pro Erwachsenem. Von dort sind es fünf Minuten zurück zum Markt.
Schwerin und seine Seen — sieben waren es ursprünglich, auf zehn ist die Zahl durch kommunale Neuordnungen angewachsen. „Der größte, der Schweriner See, ist der drittgrößte See in Deutschland“, versichert Teresa. Kleine Einschränkung: Den Bodensee zählt man in Schwerin nicht mit — der ist teilweise schweizerisch. Wie auch immer: Schwerin besitzt ein Drittel bebaute Fläche, ein Drittel Parkanlagen und ein Drittel miteinander verbundene Seen. Auf denen Besucher mit Schiffen der „Weißen Flotte“ schippern können.
Einer der Seen, der Ziegel-Außensee, liegt so malerisch, dass zu DDR-Zeiten die Parteigrößen des Bezirks Schwerin dort ihr Gäste- und Erholungshaus einrichteten. Der Schriftsteller Hans Franck (Bamberger Dichterkreis) hatte das 122 000 Quadratmeter große Areal 1921 gekauft und dort seinen „Frankenhorst“ errichtet, wo er bis zu seinem Tod wohnte und arbeitete. Den Namen hat der See von Ziegelsteinen, die dort über Jahrzehnte gebrannt worden waren.
„Schweriner konnten zu dieser Zeit nicht hierher“, erinnert sich Petra Schmidt, die in der Stadt am See beheimatet ist und heute als Geschäftsführerin das „Seehotel Frankenhorst“ leitet. „Damals gab es Schranken rundum.“ Auf dem Gelände befanden sich Gebäude für Wachpersonal, Bedienstete, Küchen und alles, was den illustren Gästen das Leben angenehm machte.
Heute ist der Frankenhorst eine moderne Hotelanlage. Mit 67 Zimmern, davon 20 Studios. Wo einst die Polit-Granden in See stachen, ankern heute Privat-Boote. In der „Gänsebucht“ wurde ein feiner Sandstrand für Kinder aufgeschüttet, es gibt eine Strand-Sauna direkt am See und zwei Esel, die eine Kutsche ziehen und sich gern streicheln lassen.
Und dann gibt es in Schwerin, im ländlichen Stadtteil Mueß, noch ein besonderes Kleinod: das Freilichtmuseum für Volkskunde. Nicht neu errichtet, sondern ein ursprünglich belassenes Bauernörtchen. „Es gehörte zum Schloss und hat bis 1918 den herzoglichen Tisch gedeckt“, beschreibt Volker Janke, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums am See.
Alles sieht so aus wie früher; die Häuser (innen zu Museumsräumen umgestaltet), die Hecken, die Gehöfte abgrenzten, die Streuobst-Wiesen mit 40 alten Apfel-Sorten, und der kleinteilige Dorfschullehrer-Garten, in dem der Schulmeister die Lebensmittel für sich und seine Familie anbaute.
Volker Janke ist Entomologe, Insektenkundler. Einer, der sein Studienfach zu seinem Hobby gemacht hat: Im Freiluft-Museum betreut er eine Seidenraupen-Zucht und ganz persönlich vier Bienenvölker mit maximal je 50 000 Bienen. Wenn Janke vom Leben der Bienen erzählt, von der Arbeitsteilung von der Königin bis zur Arbeiterin, und nicht zuletzt von der Bedeutung der Bienen über 50 Millionen Jahre, dann ist schnell ein erlebnisreicher Vormittag vorüber. Und der Besucher hat vor allem eines gelernt: „Je mehr man über Bienen weiß, desto weniger Angst wird man vor ihnen haben.“