Mit Flipflops den Berg rauf Norwegen-Touristen riskieren viel
Oslo (dpa/tmn) - Bjørn Arild Fjeldsbø vom Roten Kreuz in Odda an der Westküste Norwegens ist erschöpft. Mehr als 30 Mal mussten er und sein Team aus 15 freiwilligen Helfern in diesem Jahr schon ausrücken, um Touristen aus den Bergen zu retten.
Im ganzen Jahr 2015 hatten sie 22 Einsätze. „Ich wünschte, die Leute würden sich über den Aufstieg informieren, bevor sie sich auf den Weg zur Trollzunge machen“, sagt er ernüchtert. Die Trollzunge - auf Norwegisch Trolltunga - ist einer der Höhepunkte in den Norwegen-Reiseführern. Die Steinformation erstreckt sich 700 Meter hoch über dem Stausee Ringedalsvatnet und ist ein einzigartiges Fotomotiv.
Doch der Weg nach oben ist beschwerlich. Auf einer Gesamtstrecke von 22 Kilometern durch unebenes Terrain müssen 1100 Höhenmeter überwunden werden. Ein bergerfahrener Norweger braucht für den Hin- und Rückweg bei gutem Wetter bis zu acht Stunden - doch die Norweger sind natürlich nicht das Problem.
Vor allem Menschen aus Asien und Nordamerika glauben, der Aufstieg sei eine reine Spaziertour. Sandalen, Flipflops, kurze Shorts - Fjeldsbø hat schon alles gesehen. Dass Touristen in den Bergen stranden, liege fast immer an schlechter Ausrüstung, sagt er. Am 20. August mussten fünf Deutsche gerettet werden. Sie waren nur mit T-Shirts bekleidet und hatten ein kaputtes Zelt dabei. Am selben Tag bargen die Retter eine erschöpfte Britin mit ihrem einjährigen Kind auf dem Rücken. Beide waren völlig unterkühlt, das Kind zitterte und war schon fast blau. Die Helfer vom Roten Kreuz waren schockiert.
„Das Wetter kann ein paar hundert Meter höher ganz anders sein als am Ausgangsort“, erzählt auch Espen Brekke von der Hilfsorganisation Norsk Folkehjelp. Er ist einer der Freiwilligen, die am Preikestolen ausrücken, wenn Touristen in Not geraten. Der Preikestolen - auf Deutsch Predigerkanzel - ist eine Felsplattform im Rogaland, von der man einen tollen Blick über den Lysefjord hat. In diesem Jahr rechnet man mit 300 000 Besuchern. Und viele kommen von weit her.
„Touristen, die nur den einen Tag haben, sind die größte Herausforderung für uns“, erzählt Brekke. Besonders Asiaten seien schwer aufzuhalten, selbst wenn das Wetter eigentlich den Aufstieg nicht zulässt. Er erzählt von einem Tag im August, als der Weg zu dem ungesicherten Felsplateau geräumt werden musste, weil es einfach zu heftig stürmte. Trotzdem schlichen sich einzelne Besucher an seinen Kollegen vorbei, mit Jogginghose und Regenschirm. „Die sind dem Wind und Regen völlig ausgeliefert.“
Für die freiwilligen Retter sind diese Einsätze nicht leicht. Im Juli verletzte sich ein Tourist so sehr, dass er nicht mehr laufen konnte. Der Helikopter konnte wegen des Nebels nicht eingesetzt werden, also mussten die Helfer ihn hinuntertragen. Sieben Stunden lang. Um 5.00 Uhr morgens lagen sie endlich wieder in ihren Betten.
Angesichts der Rekordeinsätze in diesem Jahr ist es nicht immer leicht, die Motivation oben zu halten. „Es wird immer schwieriger, Leute für unsere Einsätze zu kriegen“, klagt Bjørn Arild Fjeldsbø. Denn die Helfer bekommen die Zeit nicht bezahlt und sind darauf angewiesen, dass ihr Arbeitgeber sie gehen lässt. Deshalb werden immer mehr Stimmen laut, dass das Geld für die Rettungseinsätze woanders herkommen muss.
Bjarte Sveinsvoll Dagestad ist Bürgermeister der Kommune Forsand und hat vorgeschlagen, Eintrittsgeld für den Preikestolen zu nehmen. Damit könne man die Wege instand halten und die Rettungsaktionen finanzieren. Doch sein Vorschlag stößt auf heftigen Widerstand. Denn nach dem norwegischen Jedermannsrecht steht es jedem zu, die Natur zu genießen - und zwar kostenlos. Andere haben vorgeschlagen, dass die Touristen für ihre Rettung bezahlen sollten. Doch da spielt das Rote Kreuz nicht mit. „Bei uns muss niemand für seine Dummheit bezahlen“, sagt Fjeldsbø. Man werde niemals um Kostenerstattung bitten.
Also versucht man, die Pfade sicherer zu machen, wo es denn geht. Am Weg zur Trollzunge wurden zwei zusätzliche Hütten mit Notausrüstung errichtet. Außerdem diskutiert man mit den Kommunen und dem Touristenverein über zusätzliche Warnschilder, die Touristen noch deutlicher über die Gefahren informieren.
Doch ein Gesetz, dass Menschen daran hindert, sich in der Natur frei zu bewegen, das ist in Norwegen undenkbar.