Winter im Oman: Der Duft nach Weihnacht
In den Souks von Muscat können Besucher die Geschichte des Weihrauchs erfahren.
Muscat. Schatten in langen Gewändern huschen durch das Halbdunkel, eilen von Laden zu Laden, verschwinden über drei Treppenstufen in nur wenige Quadratmeter großen Geschäften mit Regalen bis unter die Decke. An einer Ecke sind gerade Krummdolche im Angebot, gleich nebenan feilscht jemand um edle Stoffe. Es duftet süßlich, nach Zucker und starkem Tee, auch nach Tabak und orientalischen Gewürzen — und vor allem feierlich: nach Kirche, nach Gottesdienst, irgendwie nach Weihnachten.
Von draußen ruft derweil ein Muezzin aus der Nachbarschaft zum Gebet. Sein Minarett ist so unsichtbar wie er selbst, bleibt hinter der Balkendecke und den Buntglasscheiben des Daches über den Gassen des Al-Muttrah-Basars von Muscat verborgen.
Sekunden zuvor trat Murtada Najwani im langen weißen Gewand an den Ladentisch von Bakhoor al-Ameen: Vier Kilo brauche er. Dringend. Er habe fast nichts mehr, der Vorrat sei so gut wie aufgebraucht. „Gute Qualität, bitte“, sagte er noch und zeigte auf den Berg links vom Tresen: „Davon!“ Al-Ameen greift zur Schaufel, gräbt sie in den Haufen aus braun-gelben Steinchen, jeder einzelne anders geformt, alle hart und doch keiner wirklich steinern.
Er schippt sie auf die altertümliche Waage, jongliert mit den Gegengewichten, gräbt noch ein paar Mal in dem Berg aus würfelgroßen unebenen Klößchen und hat schließlich die vier Kilo beisammen. Murtada Najwani strahlt, zahlt und eilt mit zwei Plastiktüten Shopping-Ausbeute nach Hause. Was Bakhoor al-Ameen verkauft? Weihrauch. Nichts als Weihrauch. Und Myrrhe. In dritter Generation im kleinen Laden der Familie mitten im Al-Muttrah-Souk der omanischen Hauptstadt.
Seinen Arbeitstag lang sieht er nicht, wie das Wetter ist. Er plaudert, kassiert und telefoniert im Halbdunkel des gedeckten Basars. Ob die Sonne scheint? Höchstwahrscheinlich. Wie fast immer nahe der Südostspitze der arabischen Halbinsel, keine hundert Meter vom Ufer des Indischen Ozeans entfernt. Auch kurz vor Weihnachten.
Frühsommerlich warm ist es drinnen wie draußen — zwischen 20 und 25 Grad an den meisten Wintertagen. Was da in dem Schälchen neben der Kasse kokelt? Weihrauch. Natürlich. Was Murtada mit den vier Kilo will? Er verbrennt sie nach und nach zusammen mit ein paar Stückchen Kohle, überall im Haus, den ganzen Tag lang, in kleinen tönernen Schälchen, die so ähnlich aussehen wie Duftlampen.
Er liebt dieses Aroma, kennt es von klein auf: „Es gehört hierher. Nach Hause.“ Das, was er da gerade eingekauft hat, dürfte ungefähr einen Monat reichen. Früher wurde diese Substanz mit Gold aufgewogen, Europäer wussten lange nicht, was es eigentlich für ein Material ist, ob es mineralischen oder pflanzlichen Ursprungs ist. Und wo genau es herkam.
Das Geheimnis dieses Stoffes machte ihn im Altertum wie im Mittelalter umso interessanter. Weihrauch war ihnen so kostbar, dass sie ihn Gottheiten und Herrschern vorbehielten — bei den alten Römern so wie zuvor bei den Ägyptern. Später hielt Weihrauch Einzug in die Liturgie christlicher Gottesdienste: Wieder weil er so wertvoll war, kaum je irgendwo anders verbrannt wurde und deshalb für besonderen Zauber stand.
Noch heute bringt man im Abendland Weihrauch deshalb mit Weihnachten in Verbindung. Bakhoor al-Ameen hat davon gehört: „Es ist, weil die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland Weihrauch und Myrrhe als kostbare Geschenke nach Bethlehem mitbrachten.“ Während er das sagt, gleiten ein paar Brocken davon zwischen den Fingern seiner rechten Hand hin und her.
Karawanen brauchten aus dem Süden der arabischen Halbinsel 100 Tage durch die Wüste bis ans Mittelmeer. Nur in wenigen klimatisch ganz besonderen Gebieten gedeiht der Weihrauchbaum überhaupt. Warm muss es sein, aber auch feucht. Es soll ab und zu nieseln, aber es darf nicht schütten.
Im Süden des Oman im Hinterland von Salalah ist das der Fall, gut 1000 Kilometer entfernt von den Basaren der Hauptstadt. Außerdem im Jemen, in ein paar südwestlichen Winkeln Saudi-Arabiens und, was kaum bekannt ist, in Somalia. Es sind sogar Somalis, die heute im Weihrauchhandel führend sind. Bei den vermeintlichen Steinchen handelt es sich um das hart gewordene Harz des Weihrauchbaumes, der kaum höher als zweieinhalb Meter wird, eine weit ausladende Krone entwickelt und im Schnitt zwischen drei und sieben Kilo Ertrag pro Jahr bringt. Dreimal binnen zwölf Monaten wird die Rinde eingeritzt, und milchiges Harz quillt heraus, das bald erstarrt.
Die dritte Ernte bietet jeweils die beste Qualität. Dabei ist es der Überlieferung zufolge nicht ganz ungefährlich, Weihrauch zu ernten. Niemals sollte es ein einzelner Mann tun, niemals ohne zuvor auf Trommeln geschlagen und gesungen zu haben, auf keinen Fall ohne ein Schälchen der Süßigkeit Halwa neben dem Baum abzustellen. Omani gehen davon aus, dass unter jedem Weihrauchbaum ein Dämon wohnt, der besänftigt werden muss.
Um sich nicht zu schwach zu fühlen, kommen sie mit 25 Mann und fragen den Dämon in ihren Liedern, ob sie ernten dürfen. Das hat praktischen Nutzen: Die Legende half, die Bäume zu schützen. Denn die Angst vor dem Dämon hat jahrhundertelang Diebe davon abgehalten, sich nachts heimlich an die Weihrauchernte in abgelegenen Tälern zu machen.
Ob Weihrauch einen Effekt hat? Murtada Najwani zuckt mit den Schultern: „Man sagt, er nährt die Engel. Unabhängig davon: Er riecht ganz wunderbar und tötet Fliegen.“ Jetzt lacht er. Und legt schnell noch ein Krümelchen auf den Brenner. Der Autor reiste mit Unterstützung von Shangri-La.