Zollfeste Zons - Nachtwächter sind eine Attraktion

Zons (dpa) - Der Nachtwächter beschützte einst die schlafenden Menschen. Heute patrouillieren die Männer im langen Mantel für Touristen. In Zons am Rhein beginnt an Himmelfahrt ein europäisches Zunfttreffen.

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Eine schwarze Gestalt schreitet durch die dunklen Gassen. Im flackernden Licht der Laterne blitzt die Hellebarde. Es ist kein Bösewicht, der da geht, sondern ein fürsorglicher Mann: der Nachtwächter in den historischen Straßen von Zons, dem denkmalgeschützten Ortsteil von Dormagen. Einst hüteten die Männer mit dem langen Mantel im Mittelalter die Städte. Infolge von Elektrizität und des preußischen Polizeigesetzes starb der Beruf zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus.

„Heute sind Nachtwächter vor allem eine touristische Attraktion“, sagt Harald Schlimgen, der Sprecher von Dormagen und einer der vier Nachtwächter von Zons. Ehrenamtliche schlüpfen in Uniformen, führen Touristengruppen durch die Orte und stellen das entbehrungsreiche Leben ihrer historischen Vorbilder nach. Von Christi Himmelfahrt (29. Mai) bis Sonntag (1. Juni) treffen sich etwa 110 Nachtwächter und Türmer aus ganz Europa in Zons.

In mehr als 130 Orten in Deutschland wird die Tradition gepflegt - von Annaberg im Erzgebirge bis Zons am Niederrhein. Besonders viele Nachtwächter gebe es in Bayern, wo in Rothenburg ob der Tauber nach dem Zweiten Weltkrieg das Brauchtum zuerst wieder aufgelebt sei, berichtet Johannes Thier, der Zunftmeister der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft.

Ein Zunftmitglied ist der 73 Jahre alte Hermann Kienle. Er ist Nachtwächter in der Befestigungsstadt Zons am Rhein. Gruppen lassen sich von ihm durch das „rheinische Rothenburg“ führen. „Wir tauchen gemeinsam hinab in vergangene Zeiten, die heute romantisch erscheinen“, sagt er.

Einst verschloss der Nachtwächter auf seiner nächtlichen Patrouille die Stadttore und blies zur vollen Stunde ins Horn. Er schlichtete Streit unter Trunkenbolden und setzte Ruhestörer fest, bis die Polizei eintraf. Er meldete Brände und alarmierte Helfer. Trotzdem war der Beruf wenig angesehen. Sein Rang: nur knapp vor dem Abdecker und dem Henker.

In Studentenstädten musste der strenge Aufpasser oft die Kneipengäste um zehn Uhr abends an die Sperrstunde erinnern. Das Jungvolk - auf dem Weg, Akademiker zu werden - rächte sich dann, indem es den Nachtwächter wegen seines vermeintlich schlichten Geistes verhöhnte. Daher rührt sein Image als tumber Zeitgenosse, der angeblich nicht viel auf dem Kasten hatte.

Ein regnerischer Abend vor dem Rheintor in Zons: Es ist Teil des geschlossenen Mauerrings. Davor versammelt sich jetzt der Betriebsrat eines Chemieunternehmens. Die Besucher haben rote Schirme dabei und eine Nachtwächter-Führung gebucht, um sich nach langen Sitzungen bei ein bisschen Stadthistorie zu zerstreuen.

Hermann Kienle stößt kräftig ins Horn. Dann stapft er los und erzählt Stadtgeschichten, die einheimische Familien überliefert haben. Mal lustige, mal schaurige. Am Ende der Tour setzt er nochmal zum Stundenruf an: „Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen, unsere Glock hat zehn geschlagen...“.

„Das war ein stimmungsvoller und unterhaltsamer Rundgang und mal was ganz anderes“, finden die Gewerkschafter und kehren zufrieden ins Hotel zurück. Auch Hermann Kienle löscht das Kerzenlicht und geht heim. Für den Nachtwächter vor 500 Jahren hätte jetzt die Schicht erst begonnen und noch etliche einsame Stunden gedauert.