Dank der Kleinstaaterei: Reise zu den Schlössern Thüringens

Greiz (dpa/tmn) — Bis ins 19. Jahrhundert bestand Thüringen aus vielen kleinen Herrschaftsgebieten. Davon profitieren kulturinteressierte Besucher bis heute. Nirgendwo sonst in Europa ist die Dichte an Schlössern, Burgen und Parks so hoch wie in der Mitte Deutschlands.

Die Sonne taucht die Südfassade des Sommerpalais in Greiz in ein warmes Licht. Aus dem nahen Park weht der Duft der Blumen hinüber. „Maison de belle Retraite“ steht unter dem Wappen der Herrscherfamilie Reuß im Giebel: ein Haus zum Entspannen. Schön ist es hier wirklich. Das frühklassizistische Palais und der ab 1800 gestaltete Garten betten sich malerisch ein in das Tal der Weißen Elster. Man kann Heinrich XI. aus dem Geschlecht der Reußen, der das Palais ab 1769 als Lustschloss erbauen ließ, gut verstehen, wenn er in seinem Tagebuch notierte, es sei das „schönste Vergnügen der Welt“, hier den Sommer zu verbringen.

Durch den großen und ganz in Weiß gehaltenen Gartensaal geht es über die Treppe hinauf in die Beletage. Hier oben, im prunkvollen Festsaal, gab Heinrich XI. Empfänge und Konzerte. 1778 erhob Kaiser Joseph II. die Ältere Linie der Grafen von Reuß in den Fürstenstand. Der Kleinstaat war fortan ein Fürstentum — das kleinste im ganzen Reich.

Die Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation: Nirgendwo sonst trieb sie solche Blüten wie im Gebiet des heutigen Thüringens. Und das ist positiv gemeint. Denn das Nebeneinander auf engem Raum in diesem Flickenteppich kleiner Territorien stellte für die Herrscher eine besondere Konkurrenzsituation dar. Sie wollten ihren Machtanspruch demonstrieren und engagierten Künstler und Architekten, um einander im Bau prachtvoller Schlösser und Gärten zu übertreffen. So entstand ein engmaschiges Netz aus Schlössern, Burgen und Parks.

An den Höfen blühte das Geistesleben: Jede Residenz hatte ihre Bildungs- und Kultureinrichtungen — vom Theater bis zur Hofbibliothek. Womit wir wieder im Sommerpalais wären, wo Eva-Maria von Máriássy durch die Staatliche Bücher- und Kupferstichsammlung führt, deren Leiterin sie ist. Die Büchersammlung wurde von Heinrich XI. gegründet und umfasst rund 35 000 Bände.

Wer es lustiger mag, zieht vielleicht die dritte Sammlung vor. Seit 1975 ist im Sommerpalais auch das Satiricum beheimatet: eine Karikaturensammlung mit rund 12 000 Blättern.

Was die Karikatur für Greiz, ist das Skatspiel für die gut 50 Kilometer nördlich gelegene Residenzstadt Altenburg. Im Dreiländereck Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt soll das beliebteste Kartenspiel der Deutschen Anfang des 19. Jahrhunderts erfunden worden sein.

Reizvoll ist die Stadt, die in ihrer 1000-jährigen Geschichte nie zerstört wurde, aber auch in kultureller Hinsicht. Wer aus den engen Gassen der Altstadt auf den Markplatz mit seinen Bürger- und Patrizierhäusern tritt, dem stockt erst einmal der Atem. Der Anblick des Platzes ist überwältigend. Wegen seiner Größe und Eleganz gilt der Altenburger Marktplatz als einer der schönsten in Deutschland.

Das dritte Ziel in der Region ist das etwa 100 Kilometer südwestlich von Altenburg an der Saale gelegene Rudolstadt. Schon von weitem ist das Barockschloss Heidecksburg zu sehen, das majestätisch über der Stadt thront und seit 1571 ständige Residenz der Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt war.

Die Rudolstädter Fürsten konnten es wirtschaftlich und militärisch nicht mit den Mächtigen des Reiches aufnehmen. Aber was die höfische Kultur angeht, wollten sie ihnen nicht nachstehen. Der riesige Festsaal der Heidecksburg, Hofbibliothek oder die fürstliche Bildersammlung mit Werken bekannter Künstler wie Caspar David Friedrich bezeugen dieses Repräsentationsbedürfnis.

Fichte, Schopenhauer, Liszt — sie alle kamen gerne nach Rudolstadt. Und am 7. September 1788 wurde die Stadt zum Schauplatz einer denkwürdigen und folgenreichen Begegnung: Schiller und Goethe trafen hier zum ersten Mal aufeinander. Aber das ist eine andere Geschichte.

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