Tradition im Tölzer Land Flößer zwischen Folklore und Toten Hosen
Wolfratshausen (dpa/tmn) - Stamm um Stamm klatscht ins Wasser und wird von den Männern zu einem Floß zusammengebaut. So machen es die Flößer von Wolfratshausen heute, und so war es schon immer. 19 Tonnen bringt die schwimmende Insel am Ende auf die Waage.
Wer das Tag für Tag macht, bei dem sitzt jeder Handgriff. „Fitnessstudio? Das brauchen wir nicht, hier ist unsere Muckibude“, sagen die beiden Flößer Jason Charles und Michelle Scollo.
Charles und Scollo arbeiten für Josef Seitner. Der ist 70 Jahre alt und Flößermeister in der vierten Generation. Zwischen dem 1. Mai und Mitte September bietet er täglich Floßfahrten für Touristen an.
Im Tölzer Land gehört er zu den Letzten einer traditionsreichen Zunft, deren Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht. Tuche und Kalk, Marmor und Möbel schafften die Männer während wochenlanger Fahrten nach München, Passau und auf der Donau bis Wien und Budapest. Darüber hinaus wurden die Flöße bis etwa 1850 zur Personenbeförderung genutzt.
1904 machte Josef Seitners Großvater Sebastian seine allerletzte Floßfahrt als Fuhrunternehmer. Die Eisenbahn war längst ins bayerische Oberland vorgedrungen. Um 1890 erreichte der erste Zug die Flößergemeinde Wolfratshausen. Außerdem entstanden Ende des 19. Jahrhunderts an der Isar mehrere Wasserkraftwerke. „Viele Flößer gaben auf und ließen sich mit Geld abfinden“, erinnert sich Josef Seitner.
Doch Opa Sebastian blieb stur. „Bereits 1910 hat er die erste Vergnügungsfahrt mit Gästen von Wolfratshausen nach München geflößt“, so Enkel Josef.
Rund 300 Fahrten kommen für Meister Seitner und seine 18 Mitarbeiter heute während der Sommermonate zusammen: Freundescliquen, Burschenvereine, Feuerwehren, Sängerkreise, Skatclubs, Stars und Sternchen. Natürlich dürfen Bier und zünftige Musik nicht fehlen.
Die Musik kommt von Wigg Heislmeier und seinen Kollegen. „Floßcombo“ nennt sich das Quartett um den 77 Jahre alten, quirligen Landshuter. Von bayerischen Heimatklängen bis zu den Toten Hosen spielen die Vier so ziemlich alles, was die Gäste zum Mitsingen und Tanzen auf den schwankenden Brettern animiert.
Spritzige, nasse Höhepunkte der abhängig vom Wasserstand fünf bis sieben Stunden dauernden Gauditour sind die Floßrutschen an den Wasserkraftwerken Pullach und Mühlthal bei Straßlach. 345 Meter lang ist die Mühlthaler Rutsche, die längste Schräge dieser Art in Europa. Mit Tempo 40 driften die massigen Holzinseln auf der Flutwelle abwärts in die 18 Meter tiefer dahinrauschende Isar.
„Jede Fahrt ist anders, jeden Tag ändert sich das Wasser“, so Flößer Jason Charles. Der Vierzigjährige mit den muskelbepackten Armen stammt aus Trinidad und Tobago. Einst kam er der Liebe wegen nach Oberbayern. Die Liebe ist gegangen, sein Beruf als Flößer blieb, seit nunmehr 14 Jahren schon. Michelle Scollo ist erst seit 2016 dabei. „Ich muss noch viel von Jason lernen“, meint der 38-jährige Sizilianer. Die Zwei sind die einzigen Vollzeitflößer in Seitners Betrieb. Und die neue Generation, die eine über 800 Jahre alte Tradition weiterführen wird.