Auf zum Nordpol - Reisen mit dem Atomeisbrecher

Murmansk (dpa/tmn) - Feurig glänzt das Rot des Eisbrechers „50 Let Pobedy“ im Sonnenlicht des Hafens von Murmansk. In der größten Stadt nördlich des Polarkreises hat die russische Atomflotte ihren Hafen.

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Zur wärmeren Jahreszeit kann man sich hier einen besonderen Traum erfüllen: eine Reise zum Nordpol.

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Der Name des 2007 in Betrieb genommenen Schiffs, „50 Let Pobedy“, erinnert an den 50. Jahrestag des Sieges der Sowjetarmee über Hitlerdeutschland im Zweiten Weltkrieg. Der Eisbrecher ist 159,6 Meter lang und 30 Meter breit. Er gehört zur staatlichen russischen Atomflotte Rosatomflot mit Heimathafen in Murmansk.

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Die „Pobedy“ mit 75 000 PS Leistung durchkreuzt das Meer mit maximaler Geschwindigkeit von 22 Knoten, das sind rund 40 Kilometer pro Stunde. Bei zwei bis drei Meter dickem Eis kommt sie noch auf etwa drei Knoten. Aber auch schon bis zu neun Meter dickes Eis soll die „Pobedy“ gebrochen haben. Ihre Außenhaut ist fast einen halben Meter dick.

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Wenn sie Eis bricht, um den Seeweg für die Schifffahrt gängig zu machen, würden rund 200 Gramm Uran am Tag verbraucht, erklärt Chefingenieur Wladimir Judin. Jeder der beiden Reaktoren mit 160 Tonnen Einzelgewicht habe 245 mit Uran angereicherte Brennstäbe. Die insgesamt rund 1000 Kilogramm Brennstoff liefern den Dampf für die Turbinen. Vor radioaktiver Strahlung schütze ein Mantel aus hochverdichtetem Beton und Wasser, sagt Judin.

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Die Besatzung sieht sich in der Tradition des Atomeisbrechers „Arktika“, der 1977 als erstes Überwasserschiff den Nordpol erreichte. Die „Pobedy“ bricht das Eis vor allem durch ihr Gewicht - und mit Hilfe eines pneumatischen Systems, das über Düsen heißes Wasser und Luft unter die Eisschicht drückt.

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Auch ein Hubschrauber an Bord unterstützt die Fahrten durch das Eismeer. Aus der Luft prüfen Piloten 40 Kilometer im Voraus die Beschaffenheit des Eises, damit der Kapitän den einfachsten Weg einschlagen kann. Zum Parken auf dem Eis lässt die „Pobedy“ die beiden jeweils acht Tonnen schweren Anker herab.

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Für einige Monate im Jahr räumt die Crew des größten nuklear betriebenen Eisbrechers der Welt für die zahlenden Gäste aus aller Welt ihre Kajüten mit Meerblick im Oberdeck. Den Matrosen gefällt das nicht, doch sie wissen, dass die Arktis-Expeditionen Geld bringen - um russische Gastfreundlichkeit geht es eher nicht.

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„Im Sommer sind die Schifffahrtswege frei, unsere Dienste werden nicht gebraucht. Trotzdem müssen wir das Schiff unterhalten und die Besatzung beschäftigen und bezahlen“, sagt Kapitän Dmitri Lobusow. Für vier Millionen Rubel (rund 52 000 Euro) am Tag können Expeditionsanbieter die „50 Let Pobedy“ (50 Jahre Sieg) für Kreuzfahrten mieten, der Tourist in Deutschland zahlt 26 995 Euro für die Seereise.

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Der 51-jährige Lobusow mit seinem grau schimmernden Bart ist ein Kapitän wie aus einem Kinderbuch. 102 Reisende aus 21 Nationen hat der Russe diesmal an Bord. Rund um die Uhr lässt Lobusow die Brücke geöffnet für Besucher. Sie genießen den Rundumblick, inspizieren die Navigationssysteme und Elektronik. Anke Wodarg aus dem nordrhein-westfälischen Langenfeld ist Dauergast hier.

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Die „Pobedy“ rauscht durch die Barentssee. Nur noch die Konturen der Inseln von Franz-Josef-Land sind im Nebel zu sehen. Erst treiben kleine Eisschollen auf der See, dann größere. Bis es tatsächlich Eis zum Brechen gibt, dauert es Tage. „Dieses Krachen zu spüren, den Widerstand des Eises, die mächtige Kraft des Schiffes - das ist herrlich“, sagt die 48-jährige Anke Wodarg. Als es beim Essen kräftig rumpelt, kracht die „Pobedy“ durch meterdickes Eis. Nichts hält die Deutsche mehr am Tisch. Sie muss raus an Deck, zuschauen, wie der Koloss durch die Eiswüste weiter zum Nordpol vordringt. 90 Grad Nord ist das Ziel der Sehnsucht: „Das Dach der Erde“, der Punkt, von dem aus alle Wege nach Süden führen. Aber der Weg dorthin ist lang.

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Die ersten Gäste sind schon am Eindämmern in den einfachen Kajüten mit Einzelbett und Schlafcouch, als die Stimme von Expeditionsleiter Jan Bryde durch die Lautsprecher dringt. „Ein Walross auf einer Scholle. Ein Walross“, ruft er leise durch den Bordfunk. Jetzt wächst die Hoffnung auf die ersten Eisbären. Viele Gäste haben sich für die Reise entschieden, um das größte Landraubtier der Erde in freier Wildbahn zu sehen. Lange lassen die Polarbären nicht auf sich warten, erst zeigt sich einer, dann noch einer und noch einer.

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„Ein Eisbär auf einem Eisberg, meine Damen und Herren! Eisberg mit Eisbär. Eisbääärg“, tönt Brydes Stimme über die Sprechanlage. Helle Begeisterung bricht aus. Die Gäste kommen mit riesigen Teleobjektiven an Deck. Die Russen zücken ihre Satellitentelefone, geben den Sichtungserfolg an Freunde im fernen Moskau durch. Ganz nah kommen sich Schiff und Bär diesmal. „Ein wirklich besonderer Moment“, sagt die Meeresbiologin Annette Bombosch vom Expeditionsteam, die viele Monate im Jahr ihr bayrisches Zuhause in Waldsassen in der Oberpfalz gegen das Leben in Polarregionen eintauscht.

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Es geht weiter in Richtung Nordpol. Immer dichter wird die Eisfläche. Mit durchschnittlich 11,5 Knoten - rund 21 Kilometern pro Stunde - bahnt sich die „Pobedy“ in Fahrradgeschwindigkeit ihren Weg zum Ziel der Ziele. Im Schiffssalon und in der Bibliothek vertreiben sich die Gäste die Stunden und Tage bei Vorträgen von Forschern und Naturschützern. Aus dem Westen sind vor allem Geschäftsleute an Bord, auch viele Rentner, die hier die „Reise ihres Lebens“ machen.

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Unter den überwiegend jungen russischen Gästen sind Sänger, Comedy-Stars und Schauspieler sowie der frühere Judo-Olympiasportler Dmitri Nossov. Der 35-Jährige trägt ein T-Shirt mit dem Konterfei von Putin und der russischen Aufschrift: „Russlands Armee“.

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Eigentlich sollte dies die letzte Reise der „Pobedy“ mit Touristen sein, weil die Regierung andere Pläne mit dem Eisbrecher hatte. Russland will in der Arktis in Zukunft Öl und Gas fördern und den Containerverkehr über die Nordostpassage verstärken. Doch wegen der schweren Wirtschaftskrise liegen die Pläne auf Eis.

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Fünf Tage nach dem Start in Murmansk kann Expeditionschef Bryde für den nächsten Morgen die Ankunft am Nordpol ankündigen. Es ist ein Sonntag. Dass endlich die Sonne scheint, der Himmel blau und das Eis fest ist, wenn die „Pobedy“ ihren Anker herunterlässt, kann er noch nicht versprechen. Aber so kommt es dann.

Jan Bryde weckt die Gäste mit Opernmusik. Sein Team schenkt wenig später Sekt ein - eine Stimmung wie Silvester. „We are the Champions“ erklingt. Der magische Punkt, die nördliche Spitze der Rotationsachse der Erde, ist erreicht. Für Erinnerungsfotos haben viele Passagiere Nationalflaggen mitgebracht. Die Crew lässt die Schiffstreppe auf das Eis, die Passagiere bilden einen Kreis um das eigens aufgestellte rote Nordpolschild mit der Aufschrift „90°N“. Es gibt eine Schweigeminute für den Frieden auf dem Planeten, eine Rede vom Kapitän - und dann das größte Abenteuer des Tages: der Sprung in den arktischen Ozean bei fast minus zwei Grad.

1260 Seemeilen oder 2333 Kilometer hat der Eisbrecher von Murmansk zurückgelegt. Einige weinen vor Glück. Es gibt Wodka, Punsch, ein Grillfest am Schiffsrumpf - und etwas Zeit zum Laufen auf dem Eis mit seinen blau schimmernden Schmelztümpeln an der Oberfläche. Eine Urkunde am Ende der Reise bescheinigt den Erfolg. Kapitän Lobusow ist zufrieden: „So sicher und punktgenau ist das nur mit dem Eisbrecher zu schaffen“. Ein weiterer Sieg für die „Pobedy“.