Im Alpenraum hat der Krippenbau Tradition. Besuch im österreichischen Großartal und bei einem engagierten Verein Die Krippe: Zur Weihnacht das schönste Geschenk an die Familie
Von Claudia Kasemann
Kein Kind in der Krippe. Der Stall steht zwar schon eingerichtet, mit Hirten und Schafen, aber vom Christkind ist weit und breit nichts zu sehen. Und das sei auch ganz richtig so, Anfang Dezember, sagt Thomas Wirnsperger vor der lebensgroßen Dorfkrippe im beschaulichen Großarl im Salzburger Land. „Es kommt schließlich erst zu Weihnachten zur Welt.“
Jeden Advents-Freitag bei einbrechender Dunkelheit lädt der Chef des Tourimusverbands Großarltal persönlich zur kleinen Wanderung durch das Zentrum und hinauf zur barocken Pfarrkirche ein. Im Schein der Fackeln, die er zuvor unter den Gästen verteilt hat, gibt es Wissenswertes zur Dorfgeschichte. Am Marktplatz duftet es nach Glühwein und Gebäck, ein Herrentrio singt Volksweisen a capella, später begleiten Alphorn- und ein Trompetenspieler den Ausflug.
Es ist eine Bilderbuch-Szene, so schön, dass sie fast nicht echt erscheint. Tatsächlich mag sich manch gerade erst angekommener Besucher wie in eine Weihnachts-Kulisse hineinversetzt fühlen. Doch dem authentischen Charme Großarls erliegt selbst der hartgesottenste Städter schnell – spätestens im früheren Pferdestall der Pfarrei bei der Kirche.
Dorthin führt der Fackelmarsch, und dort hat der örtliche Krippenbauverein Werkstatt und Museum. Josef Gschwandtl ist passionierter Krippenbaumeister und Obmann des Vereins, der die jahrhundertelange Tradition der Familienkrippen pflegt und lebendig hält. „Es geht um die Schönheit des Einfachen und die freudige Erwartung aufs Weihnachtsfest“, sagt er. Gerade die Jüngsten seien mit Begeisterung dabei, so Gschwandtl, den hier alle nur „Sepp“ nennen. TikTok und Insta seien schnell vergessen, wenn alljährlich im September die Arbeiten an den Krippen beginnen. So begehrt ist die Mitgliedschaft, dass Dorf-Kinder oft schon im Vorschulalter angemeldet würden, damit sie als Teenager beim Krippenbauen im Verein mitmachen können, berichtet Gschwandtl.
Verwendet werden für die Krippen natürliche, regionale Materialien: Wurzelwerk aus den Wäldern, Steine und Gehölz von den Bergen. Erst, wenn die Miniatur-Landschaft gestaltet ist, werden die Figuren perspektivisch genau eingepasst. Die kleinsten hinten, die großen vorne, so dass ein Wunderwerk an Raumgefühl entsteht.
Die fertigen Krippen stehen dann pünktlich zum ersten Advent in der Ausstellung: unglaublich detailreich, immer wieder unterschiedlich und kreativ. Wie vielfältig das Thema Weihnachtskrippen sein kann, zeigt sich in orientalisch anmutenden Szenerien mit Palmen und Wüstenlandschaften des Nahen Ostens, aber eben auch in alpinen Varianten mit Bauten, die real existierenden Almen und Gehöften der Umgebung nachempfunden sind. Bei den Arbeiten im Verein geht es übrigens keineswegs um die Prämierung des besten, größten oder schönsten Ergebnisses von Volkskunst: Die meisten Krippen wandern nach Bau und Ausstellung einfach zurück in die heimatliche Stube, sagt Sepp Gschwandtl, sie verbleiben dort oft bis Maria Lichtmeß am 2. Februar.
Die Familienstücke werden nicht verkauft. Höchstens verschenkt
Und danach? Manche Krippen kommen in die Dauerausstellung, andere würden im Familienkreis weitergereicht und auch mal an Freunde verschenkt. Die Teilnehmer der kleinen Fackelwanderung - darunter nicht nur Touristen - sind begeistert. Zu gern würde der ein oder andere eines der selbstgebauten Kripplein erwerben. Doch verkauft werden die kleinen Kunstwerke nicht, betont der Obmann, das würde sich falsch anfühlen: „Hier geht es um Tradition, nicht um Kommerz, dass passt für uns nicht zusammen.“
Im Alpenraum hat der Krippenbau eine lange Geschichte. Erste Krippen entstanden in Österreich und Bayern bereits im 17. Jahrhundert, inspiriert von neapolitanischen Meistern, die die Kunst schon ab dem 13. Jahrhundert begründeten. Für die einfache Landbevölkerung bot die Krippe die Möglichkeit, ihren Glauben nachzuvollziehen und bildhaft darzustellen, fernab der lateinischen Lithurgie der katholischen Kirchenhierarchie. Was und wer warum in der Krippen-Szene dargestellt wird, sei heutzutage nicht mehr selbstverständlich im Bewusstsein der Menschen verankert, weiß man nicht nur im Großarltal. „Es ist so schön, Leuten zu begegnen, die um die Bedeutung des Weihnachtsfests wissen und unsere Krippen-Kultur entsprechend würdigen können“, sagt Sepp Gschwandtl.
Großarltal: Tourismus
mit Augemaß als Ziel
In Großarl sind kurz vor Weihnachten nun mehr Besucher angekommen, die Skisaison hat längst begonnen. Zwei Bergbahnen laufen, die erst 2023 eröffnete Kieserlbahn mit ihren Gondeln für bis zu 10 Personen stellt den Anschluss zum Verbund „Ski Amadé“ dar, zur Skischaukel nach Dorfgastein auf der anderen Seite des Bergrückens. Allein der Blick von der Bergstation mit dem Terrassenlokal „Wolke 7“ über Dachstein und Hohe Tauern zum Großglockner ist atemberaubend. Entsprechend sind je nach Saison die Übernachtungs-Anfragen der Gäste. Platzhirsch unter den Hotels ist „Das Edelweiss“, mit fünf Sternen, luxuriösen Suiten, aufwendigem Wellness-Zentrum, mehrstöckigem Rutschenpark und Hauben-Gastronomie – zu entsprechenden Preisen, versteht sich. Dass Großarl aber nicht seine Seele verkauft, ist Tourismus-Chef Wirnsperger wichtig: „5000 Gästebetten bei rund 3800 Einwohnern, das ist noch eine gesunde Größe“. Von ausuferndem Après-Ski-Rummel sei man weit entfernt - und das solle auch so bleiben.
Familiär zumindest ist die Atmosphäre. Jetzt, kurz vor Heiligabend, sammeln sich Gäste und Einheimische in den Abendstunden im festlich geschmückten Ort, stehen vor der der lebensgroßen Dorfkrippe und bestaunen die aus Zirbenholz geschnitzten Figuren.
Und siehe, alle sind sie gekommen, Weihnachten ist da: mit Maria, mit Josef, mit den Hirten. Und in der Krippe liegt das Jesuskind.