Wuppertaler Auslese Legende, Geschichte und Magie: Warum die Weihnachtsgeschichte ewig fasziniert

Wuppertal · „Die Wahrheit steckt im Moment des Erzählens“: Wer war die Heilige Familie wirklich? Was geschah in Bethlehem? Bibelforscherin Claudia Janssen liefert Antworten.

Krippen gehören zu den bekanntesten Visualisierungen der Weihnachtsgeschichte, wie hier in St. Remigius in Sonnborn.

Foto: Tim Oelbermann

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“ So beginnt eine der berühmtesten Geschichten der Bibel, die jedes Jahr nicht nur in den Weihnachtsgottesdiensten als Krippenspiel zu verzaubern vermag, sondern auch in Filmen, Comics, in der Bildenden Kunst und in zahlreichen literarischen Adaptionen neu interpretiert wird – von der Reise der Heiligen Familie nach Bethlehem, die in einem bäuerlichen Stall unterkommt, Hirten und Weisen aus dem Morgenland begegnet, bis ein egozentrischer Herrscher namens Herodes einen neuen König nicht neben sich dulden will und die Geschichte zum Krimi wird.

Die WZ hat mit Bibelforscherin Claudia Janssen von der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal gesprochen, wie viel dieses Geschehens der historischen Wahrheit entsprechen könnte, warum die Weihnachtsgeschichte auch 2000 Jahre später noch so legendär ist und ob sie modernen Interpretationen aufgeschlossen gegenübersteht.

Zwischen historischer Grundlage und überlieferter Legende

Zu den Schwerpunkten von Professorin Claudia Janssen gehört das Neue Testament.

Foto: KiHo Wuppertal

Geschichten, Mythen, Briefe, Lieder – die Bibel sei zunächst einmal eine ganze Bibliothek von Büchern, „die über mehrere Jahrhunderte geschrieben worden sind“, erklärt Claudia Janssen, Professorin für Neues Testament und Theologische Geschlechterforschung. Die Weihnachtsgeschichte nehme dabei eine besondere Stellung ein, zumal sie auch politisch in der großen Weltgeschichte angesiedelt sei – vor allem durch die Volkszählung des römischen Kaisers Augustus.

„Es gibt aus dieser Zeit schreckliche Erzählungen über Steuereintreibung“, sagt Janssen. „Die Leute sind bis aufs Blut ausgepresst worden und mussten noch Geld zahlen. Und wenn diejenigen sich verdrückt haben, die die Steuern zahlen mussten, wurden die Familien erpresst.“ Jesus sei hier ein Symbol für den wahren Frieden. „Der Friede Gottes, der mit dieser Geburt beginnt.“ Dabei spiele auch die Metaphorik, dass ein Licht die Dunkelheit vertreibe, eine wichtige Rolle – letztlich in der Verbildlichung des Sterns von Bethlehem.

Dabei – auch wenn dies enttäuschend klingen möge – „wissen wir über die historischen Umstände der Geburt Jesu gar nichts. Das ist eine Legende. Das heißt nicht, dass das Weihnachtsfest jetzt ausfällt. Aber wir wissen nur das, was die Evangelisten uns erzählen – und das ist etwas, was ihnen mündlich überliefert wurde.“ Claudia Janssen geht zudem davon aus, dass es die vier Evangelisten in ihrer namentlichen Erwähnung gar nicht gegeben habe. Dass die Evangelien von Einzelpersonen geschrieben wurden, davon geht im Moment in der Forschung niemand aus. „Wir sind in einer mündlichen Tradition. Und ich kann mir das nur so vorstellen, dass da Männer, Frauen, Kinder, alte Menschen zusammensitzen und erzählen. Wer das letztlich aufgeschrieben hat, ist gar nicht so wichtig.“

Viel bedeutsamer sei, diese Geschichten als Versuche anzusehen, das Transzendente in Worte zu fassen. „Für mich ist es eine große Befreiung, sie so zu verstehen, weil ich nichts glauben muss, was ich nicht glauben kann. Die Wahrheit steckt in dem Moment des Erzählens und in dem, dass Menschen sich immer wieder neu in diese Geschichten vertiefen.“ Und dann erscheine eine „unglaublich starke Geschichte“, die auch Menschen erreiche, die gar nicht an Gott glauben.

„Wir können durch Weihnachten immer wieder Kind sein“

Deshalb sei ihr auch als Wissenschaftlerin eine Koexistenz von klassischen Varianten und Neuinterpretationen nicht fremd: „Ich freue mich über jede Weihnachtskarte, auf der kein Coca Cola-Weihnachtsmann drauf ist oder Snoopy mit Weihnachtsmütze, sondern auch biblische Motive.“ Aber genauso sei es legitim, sich der Weihnachtsgeschichte über Comics oder Graphic Novels zu nähern. „Wenn Menschen dazu kommen, auf diese Weise die Bibel zu lesen, ist das doch wunderbar.“

Das gilt überdies für die Tradition der Krippen: „Ich finde Krippen toll. Da wird Jesus nach den Worten des Lukas in Bethlehem geboren, und später kommen die drei Weisen aus dem Matthäusevangelium in die Krippe gewandert. Ich stelle sie auch am 6. Januar dazu und hoffe sehr, dass viele Kinder fragen: Was ist denn da dargestellt?“ Für Janssen sei die Krippe auch ein Stück Erzählraum. „Ich finde es wichtig, dass Eltern ihren Kindern die Geschichten erzählen. Dann haben wir nämlich die Chance, unser Leben lang immer noch mal einen Moment Kind zu sein, wenn wir vor dem Weihnachtsbaum stehen.“