Weltberühmte Geschichte weitererzählt Der kleine Prinz im Lieferservice

Düsseldorf · Das Buch von Antoine de Saint-Exupéry ist Weltliteratur. Martin Baltscheit holt es zu Heiligabend in unsere Zeit und erzählt es weiter. Ein Tipp auch für Erwachsene.

Der kleine Prinz und die Krähe vor ihrer Begegnung mit einer Populistin und einer Milliardärin.

Foto: NN

Man kann es mutig oder größenwahnsinnig nennen, einem Klassiker vom Kaliber des „Kleinen Prinzen“ eine Weitererzählung anzudichten: Martin Baltscheit ist sich des Risikos bewusst. Der Düsseldorfer Autor ist sogar Wiederholungstäter. Zum zweiten Mal hat er jetzt das weltberühmte Kunstmärchen von Antoine de Saint-Exupéry weitererzählt: „Ich habe die Fortsetzung in dem Wissen geschrieben, dass man die Bibel eigentlich nicht fortschreiben kann. An das Original kann ich nicht heranreichen.“

Der Vergleich mit der Bibel kommt nicht von ungefähr. In mehr als 500 Sprachen ist das Kunstmärchen des schreibenden Piloten Saint-Exupéry übersetzt und zählt damit zu den am häufigsten übersetzten literarischen Werken. 2018 schrieb Baltscheit „Der kleine Prinz feiert Weihnachten“. Darin kehrt die Figur kurz vor dem Fest auf die Erde zurück, findet eine freche, hungrige Krähe als Kumpel, trifft das Christkind, staunt über seine Berühmtheit und sucht seinen Erfinder.

Baltscheit hat nun eine weitere Weitererzählung verfasst: „Der kleine Prinz macht Geschenke“ – wieder mit Krähe und mit Christkind. Die Geschichte passt gut ins allgemein düstere Weltklima, denn es geht um die Bösen auf unserem Planeten.

Der kleine Prinz bekommt vom Christkind ein kleines schwarzes Buch zugeschanzt, mit der Mission, den Bösen Weihnachtsgeschenke zu bringen. Das Christkind – unterwegs mit Team Halleluja – hat dafür keine Zeit. Aber: „Jeder hat ein Geschenk verdient.“

Von da an ist der Prinz im Zustellservice tätig. Er verteilt Geschenke an die vielen Geschmähten dieser Welt: Häftlinge, Einsame, Diktatoren, Geizige, Kriminelle, Gottlose, allzu Fromme, Faulpelze, Engelmacherin, Teufel. Kumpel Krähe ist wieder mit von der Partie. Und so machen sich die zwei Geschenkezusteller auf einen Weg, der manchmal Freude, in jedem Fall aber Erkenntnisse bringt.

Eine kursorische, sprunghafte Geschichte ist das. Sie sprüht vor Witz, Ironie und Denkanstößen. Munter wechselt Baltscheit in seiner Erzählung die Ebenen: von Begegnungen mit dem Bösen zur christlichen Weihnachtsgeschichte, zum Prinzen-Original, zum allwissenden Erzähler, der die Handlung unterbricht. Da darf die Anspielung vom Sehen mit dem Herzen nicht fehlen. Aber zum Glück, wenn es zu poetisch oder philosophisch zu werden droht, schreitet die Krähe ein.

Der bodenständige Vogel ist aus einem anderen Baltscheit-Buch („Krähe und Bär“) in die „Prinzen-Geschichten“ hineingeflogen. „Der kleine Prinz brauchte jemanden zum Reden. Das war dann einer dieser magischen Momente, in denen man zulässt, dass eine Figur in eine Geschichte hinein will“, erinnert sich Baltscheit.

So wie der kleine Prinz von Saint-Exupéry von Planet zu Planet reist und seltsamen Personen begegnet, so treffen der Baltscheit-Prinz und sein bodenständiger Vogel auf allerlei personifiziertes Ungemach. Vieldeutig sind diese Bösen, tragisch, teuflisch und manchmal unerwartet gut. Leicht lassen sich Parallelen finden zur Wirklichkeit. Nicht alle Geschmähten aus dem schwarzen Buch lassen sich beschenken, und nebenbei wird noch über den Sinn und Zweck des Schenkens philosophiert: „Weil Geschenke Bilder sind, die mehr als tausend Worte sagen. Sie sprechen von Anerkennung, Einfühlung und der Freude an Aufmerksamkeiten, es sind Bitten und Entschuldigungen und die Trophäen unserer jährlichen Familienpreisverleihung.“

Die Frage, ob es wirklich ein Kinderbuch ist, stellt sich auch bei Baltscheits Weitererzählung: Der Autor hat darauf eine klare Antwort: „Das ist ein alter literarischer Trick. Man schreibt vermeintlich ein Buch für Kinder, um den Erwachsenen den Spiegel vorzuhalten.“ Baltscheit hält den Leserinnen und Lesern gleich eine ganze Discokugel vor. Fröhliches, Kindliches findet sich darin, aber auch Ernstes, ja Politisches. Mit der Engelmacherin etwa macht er Abtreibung zum Thema. „Das Leben einer Frau muss von ihr selbst entschieden werden“, sagt die alte Frau im Buch und die Krähe befindet, dass das kleine schwarze Buch neu geschrieben werden muss. „Ich liefere Gesprächsanlässe, keine Lösungen“, sagt Baltscheit: „Die Welt ist nicht schwarz-weiß, sie hat viele Grautöne.“

(saja / ha)