Eine Tür knallt. Fensterläden rappeln. Irgendwo kracht ein Blumentopf zu Boden. Gerade war noch alles beschaulich still in der Altstadt von Crikvenica. Doch die Bora ist ein launisches Wesen, das den starken Auftritt liebt. So unvermittelt stürmt der notorische Fallwind aus den Bergen herab an die Küste, dass es selbst Alteingesessene gelegentlich kalt erwischt. Bis zu 250 km/h erreichen die Böen. Kein Wunder, dass Fischer und Segler mit maximalem Respekt von ihr sprechen.
Doch auch wenn mal etwas zu Bruch geht oder ein paar Hüte davonfliegen – die Bora (oder auf Kroatisch Bura, von griechisch Boreas, „der Nördliche“) gehört hier einfach zum Leben. „Wenn der Wind kommt, geht es uns gut. Er bläst die Sorgen davon, Kranke atmen auf, und man kann besser denken“, sagt Roberta Tuček, die Kurgäste und Touristen durch ihr Heimatstädtchen begleitet. Tatsächlich sorgt die hereinbrechende kühle, trockene Luft für klaren Himmel und beständigen Sonnenschein über dem Meer.
Überhaupt: dieses Klima! Es ist schon sehr speziell an der Kvarner Bucht – und seit Beginn des Fremdenverkehrs die Trumpfkarte dieser Küste. In der Österreichisch-Ungarischen Epoche stand sie bald im Ruf eines wahren Gesundbrunnens – wohlgemerkt für jene, die sich den Aufenthalt leisten konnten. Das altehrwürdige Kvarner Palace Hotel in Crikvenica stammt aus dieser Zeit. 1895 als Hotel Erzherzog Joseph eröffnet und zeitweise sogar von seiner Durchlaucht selbst geführt, war es ein Treffpunkt der k.-u.-k.-Elite.
Schon damals priesen Ärzte wie Patienten den wohltuenden Cocktail aus mediterraner Sonne, frischer Bergluft und Meeresaerosolen, gut gemixt von der Bora – ideal für Asthmatiker, Allergiker und Winterflüchtige aus Wien oder Budapest. Unter Titos jugoslawischem Sozialismus trug das Haus den Namen Moskau. Heute erstrahlt der Hotelklassiker unter österreichischer Leitung in frischem Glanz – von außen im Stil der Neorenaissance, im Inneren mit opulenten Jugendstil-Details. Besonders schön ist der weitläufige Park, der sich über die pünktlich zum 130-jährigen Jubiläum neu gestaltete Poolterrasse bis hinunter zur Strandpromenade zieht. Das Meer ist hier kristallklar und dank der vorgelagerten Insel Krk meist ruhig – ideal zum Schwimmen und Schnorcheln.
Inselwelten und
Paradiesstrände
Otok – das bedeutet Insel. Eine Vokabel, die Reisende an der Kvarner Bucht schnell lernen. Und von Otok zu Otok gelangt man rasch mit Fähren und Taxibooten. Für Segler ist die Inselwelt ohnehin ein Traumrevier – sofern nicht gerade die Bora faucht...
Nach Krk und damit zum Flughafen Rijeka geht es sogar direkt über eine 1.450 Meter lange Brücke. Die größte Insel der Bucht gefällt mit einem Mix aus Geschichte, Kultur und Natur. Das ummauerte Zentrum von Krk-Stadt ist ein wahres Schmuckkästchen mit römischen Ruinen, mittelalterlichen Kirchen und dem imposanten Frankopan-Schloss. Im Hinterland warten stille Pfade durch den Karst auf Wanderer, während der Sandstrand Sveti Marak Familien mit Kindern begeistert. Die vielleicht schönsten Badeplätze hat jedoch die Insel Rab. Rund 30 sollen es sein, der bekannteste ist der feinsandige Paradiesstrand (Rajska Plaža) in Lopar – quasi karibische Verhältnisse in Kroatien. Unerhört schön fand die Insel schon der englische König Edward VIII. mit seiner späteren Frau Wallis Simpson. 1936 schwamm das Paar in der Kandarola-Bucht sogar textilfrei – womöglich der Beginn der Freikörperkultur an Kroatiens Stränden?
Gekrönte Häupter
und mondäne Seebäder
Folgt man der Küstenstraße nach Süden in Richtung Dalmatien, eröffnen sich immer wieder atemberaubende Ausblicke auf tief eingeschnittene Meeresbuchten und wilden Karst. Unmittelbar landeinwärts erstreckt sich das rund 150 Kilometer lange Bergmassiv des Velebit, von der Unesco zum Biosphärenreservat erklärt – und Ursprung des Bora-Windes. Am heftigsten, so sagt man, tobe er durch die Gassen von Senj, dem ältesten Hafen an der oberen Adria. Von der Festung Nehaj bietet sich ein atemberaubender Blick auf den 3.000 Jahre alten Ort. Die größte Stadt der Kvarner Bucht ist jedoch Rijeka, eine Stadt voller Kontraste: Vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Teil des Habsburgerreichs (ungarisch Szentvit), dann als Fiume zu Italien gehörig, später zu Jugoslawien. Fast nahtlos geht Rijeka über in das „Monte Carlo Kroatiens“: Opatija (italienisch Abbazia). Einst ein unbedeutendes Fischernest, verdankt es seinen Aufstieg dem Anschluss ans k.-u.-k.-Schienennetz ab 1873. Das kaiserliche Dekret erhob Opatija zum ersten heilklimatischen Kurort an der österreichischen Adriaküste.
Sisi - die vielleicht erste Influencerin überhaupt
Hier kurte die gesamte europäische Hochadelsprominenz – von Franz Josef I. über Wilhelm II. bis zur unvermeidlichen Kaiserin Sissi, die wohl prominenteste Vielreisende ihrer Zeit – und quasi die erste Influencerin überhaupt. Nikola Špehar, seit vier Jahrzehnten Reiseleiter, stellt sich vor, was die einfache Bevölkerung angesichts der noblen Gästeschar gedacht haben mag: „Was wollen die nur alle hier?“ Aber Opatija habe rasch gelernt, mit und auch von den Besuchern gut zu leben. Diese Tradition als Gastgeber spüre man bis heute. Lächelnd erinnert sich Nikola Špehar an seine Mutter, die vom Markt gern Grienzeig – also Gemüse – mitbrachte, typisch für den deutsch-jiddisch-italienisch-kroatischen Sprachmix der Frühzeit des Tourismus.
Einige der grandiosen Hotelpaläste von damals sind noch in Betrieb, etwa das Imperial und das Kvarner. Ein Muss: das Flanieren auf der zehn Kilometer langen Franz-Josef-Promenade, dem Lungomare, immer direkt am Meer entlang, mit dem Duft von Lorbeer und Jasmin in der Nase. Besonders im ehemaligen Fischerviertel Volosko wird kroatische Kulinarik zelebriert – von rustikalen Konobas bis hin zu gehobenen Restaurants.
Exquisite Scampi aus der Kvarner Bucht, Oktopus, fangfrischer Fisch, Pršut, erlesene Olivenöle sowie Trüffel aus Istrien begeistern nicht nur Feinschmecker. Dazu kredenzt etwa die vielfach ausgezeichnete Sommelière Daniela Kramarić in ihrem Lokal Plavi Podrum eine Auswahl bester Weine der Region - für Liebhaber edler Tropfen erweist sich Kroatien als echte Entdeckung. Fast wünscht man sich, dass am Rückflugtag die Bora möglichst heftig wehe. Denn dann würde mal wieder die Brücke nach Krk gesperrt - und somit der Weg zum Flughafen Rijeka. Jeder Tag mehr wäre ein Genuss...