Erntezeit bei den Winzern Pfälzer Feste: Herbstgenuss mit Wein, Kastanien und Pilzen
Neustadt (dpa/tmn) - Mit Kanistern in der Hand stehen die Besucher Schlange für den neuen Wein. Aus dem Zapfhahn fließt er literweise in die Plastikbehälter, wahlweise weiß oder rot.
Das Fest der Genossenschaft Weinbiet in Neustadt-Mußbach läutet Ende August den Herbst in der Pfalz ein. Es ist der Auftakt zu einer Genuss-Saison mit neuem Wein, Kastanien und Pilzen.
Die Weinbieter Winzer sind nicht nur die ersten, sie feiern auch am längsten. Von Ende August bis Anfang November - knapp zehn Wochen - fließt in dem Vorort von Neustadt der neue Jahrgang in Strömen, so ist es seit mehr als 40 Jahren.
Die Dorfbewohnerin Manuella Wiedemann-Drouy wartet mit ihren Kanistern auf die Abfüllung. Der frisch gegärte Traubensaft hat eine leicht herbe Note, milchig-trübes Aussehen in beiden Rebfarben. Darum heißt er auch Federweißer. Ein Liter für später, ein Liter für sofort. Im Hof der Genossenschaft laden lange Tische zum geselligen Sitzen ein. Eine Musikkapelle spielt. „Am besten Freunde einladen und eine Vesper mitbringen“, rät Wiedemann-Drouy. Die kleine Mahlzeit gehöre zum Herbst in der Pfalz unabdingbar dazu.
Zwei Vororte weiter hängen die Reben noch voller Trauben. Es sind die Weinstöcke von Sabine Ohler-Jost, die das Familienweingut in fünfter Generation führt. Die 52-Jährige bewirtschaftet 8,4 Hektar. Gerade läuft die Weinlese im Gimmeldinger Mandelgarten. Der Premium-Riesling ist an der Reihe. Gelesen wird mit der Hand. „Ich möchte qualitativ hochwertigen Wein machen“, betont die Traditionswinzerin. Dafür müsse sie ganz gezielt selektieren können.
Der Herbst ist eine intensive Zeit in der Pfalz. Morgens um sieben beginnt der Tag, Schluss ist manchmal erst um Mitternacht. „In der Erntezeit, da kommt's drauf an. Sonst kann man noch viel verspielen“, erklärt Ohler-Jost. Die Schere in der Hand, steht sie im Wingert, wie die Weinberge in der Pfalz heißen. Trauben greifen, faule Stellen entfernen, abschneiden und in den Eimer werfen. Stück für Stück arbeiten sich die Erntehelfer die Rebzeilen entlang. Im Weinkeller müssen derweil die Fässer geleert und abgefüllt werden, um Platz zu schaffen für den neuen Jahrgang. Dicke Rohre, die quer über der Straße liegen: alltäglicher Anblick in diesen Tagen.
Die Lese per Hand leisten sich nur wenige. Viele Winzer ernten mit sogenannten Vollerntern, die die Trauben abrütteln, erklärt Kirsten Neumann, Kultur- und Weinbotschafterin, bei einer Weinwanderung durch die Spitzenlagen rund um Mußbach und Gimmeldingen. Das leichte Dröhnen der Maschinen liegt wochenlang in der Luft.
Die Genossenschaft Neubiet hat die Weinwanderungen im Programm, einen dreistündigen Spaziergang inklusive Pause mit Weinprobe, Brezeln und Saumagen-Brötchen. Die Herbstsonne lässt die bunt gefärbten Blätter leuchten. Neumann läuft mit der Gruppe vorbei an Riesling- und Burgunder-Reben, verrät Wissenswertes zu den Lagen. Warum dieser Weinberg Meerspinne heißt? Neumann präsentiert folgende Ableitung: Für den schlammigen Moorboden brauchten die Winzer früher mehr Pferde-Gespanne als anderswo.
Auch im Naturpark Pfälzerwald ist im Herbst Erntezeit. Täublinge, Steinpilze, Krause Glucke, Maronen - wer sich auskennt, hat sein Körbchen in guten Jahren schnell gefüllt, weiß Manfred Schneider, Pilz-Experte aus Edenkoben. Der ehemalige Dresdner nimmt Besucher mit zu einem Sammelspaziergang. Der Weg durch den lichten Wald führt hinab zum Friedensdenkmal. Ein würziger Geruch schmeichelt der Nase. Nur Pilze entdeckt Manfred Schneider trotz Kennerblick nicht. „Der Sommer war zu trocken“, stellt er bedauernd fest.
Auf der Terrasse des Gasthofs am Friedensdenkmal erzählt Schneider bei einem Gläschen von besseren Zeiten. Von der Saison, als er und seine Frau so viele Steinpilze fanden, dass er sie in seinem Oberhemd transportieren musste. Wie sie die Ausbeute an ein Restaurant verkauften und dann mit erdbeschmiertem Hemd auf der dortigen Hochzeitsgesellschaft mitfeierten. Der Ertrag des heutigen Spaziergangs: eine winzige orangefarbene Koralle und eine sehr alte Krause Glucke.
Mit leeren Händen kommt der Pilzexperte trotzdem nicht aus dem Wald. Schneider bückt sich und hebt ein paar stachelige Esskastanien auf. Überall purzeln sie jetzt von den Bäumen. Und natürlich geben die Pfälzer auch ihnen zu Ehren ein Fest.
Geröstet, als Brot, Wurst oder Likör - die Auswahl beim Keschde-Fest am Fuße von Schloss Villa Ludwigshöhe in Edenkoben ist immens. Von oben tröpfelt der Regen, doch das stört die feierfreudigen Pfälzer nicht. Unter den mächtigen Kronen der Edelkastanienbäume lässt sich auch dieses Herbstwetter ertragen.
Für die unzähligen Weinfeste gibt es sogar eine eigene Handy-App. Alle Termine auf einen Blick, um ja nichts zu verpassen. Meist feiern mehrere Dörfer zeitgleich. In Pleisweiler-Oberhofen herrschen am Wochenende zwei Tage Ausnahmezustand. Im komplett gesperrten Ortskern schenken die Winzer erste Fassproben des neuen Jahrgangs aus. Bestellt wird ein Schobbe-Glas, ein halber Liter. Wer nur ein Viertel bestellt, wird komisch angeguckt. Da ist es doch besser, sich geeignet zu stärken. Saumagen, Bratwürste und Leberknödel mit Meerrettichsoße stehen auf den Speisekarten. Alternativ: eine Portion „weißer Käs mit Grumbeeren“ - Quark mit Pellkartoffeln.
Dem Rebensaft huldigt auch Neustadt an der Weinstraße mit dem Deutschen Weinlesefest (22.9. bis 9.10.2017). Volksnah als Pfälzer Winzerdorf mit Fahrgeschäften auf dem Bahnhofsvorplatz. Kleiner und schicker beim „WineFESTival“, nur eine Unterführung entfernt, im historischen Spiegelzelt auf dem Hetzelplatz. Höhepunkt der Festivitäten: der große Winzerfest-Umzug am ersten Oktober-Wochenende mit der frisch gekrönten neuen Weinkönigin. Mit dem Festzug endet mehr oder weniger die herbstliche Weinfest-Saison.