Serie 125 Jahre: „Karl von der Wupper“ und die Konsumgenossenschaft

Das passierte von 1897 bis 1901 im Wuppertal.

Wuppertal. 45 Familien finden sich im Jahr 1899 zusammen, um in Barmen eine preiswerte Warenversorgung zu organisieren. Die Gründungsmitglieder sind keineswegs überzeugt davon, dass ihre Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ jemals Erfolg haben wird. Könnten sie vorausschauen in die 1920er Jahre, so wären sie stolz darauf, Deutschlands größte Konsumgenossenschaft aus der Taufe gehoben zu haben.

Bereits vier Jahre vor Gründung der „Vorwärts“ beweist der General-Anzeiger ermutigenden Weitblick: „In Städten mit teuren Preisen aber ist es für die Arbeiterschaft von besonderem Werth, durch Consumvereine mit billigen Verbrauchsgegenständen versehen zu werden. An solchen Orten können diese Vereine trotz der Summe von Haß, die sie auf sich laden, nicht lebhaft genug befürwortet werden.“

Solche Plädoyers werden ohne Rücksicht darauf gedruckt, dass die großen Wuppertaler Kaufhäuser zu dieser Zeit ganze Seiten mit Anzeigen buchen. Der damals oft erhobene Vorwurf, die Redaktion beuge sich wirtschaftlichem Diktat, geht offenkundig ins Leere. Tatsache ist vielmehr, dass die noch junge Zeitung wegen ihrer unparteiischen Haltung und der kompromisslosen Sprache auf breiter Ebene geschätzt wird. So sehr, dass die Anzeigenkunden unter keinen Umständen auf das wegweisende Organ verzichten wollen und manche Zeilen zähneknirschend schlucken müssen.

Damit steht der General-Anzeiger aber auch in der Pflicht, die heißen Eisen nicht nur anzupacken, sondern sie überhaupt erst aufzudecken. Das ist oftmals schwierig zu einer Zeit, da auf behördlicher Seite bei allen erdenklichen Vorgängen das oberste Gebot darin besteht, kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Karl Sir (Foto: Archiv), der 42 Jahre lang den Lokalteil des General-Anzeigers leitet, kennt nicht nur Gott und die Welt, sondern erarbeitet sich auch im Laufe seiner Dienstzeit alle Kniffe, um trotz der Verschleierungspolitik über das Stadtgeschehen im Bilde zu sein. Schon im Januar 1897 erkennt Oberbürgermeister Jaeger in einer geheimen Sitzung der Stadtverordneten: „Was nützt es, dass wir hier geheim verhandeln, morgen steht es ja doch im General-Anzeiger!“

Um auch solche Bonmots ins Blatt einbetten zu können, erhält der Journalist Sir eine fiktive Figur zur Seite, die als „Karl von der Wupper“ den satirischen Blick auf das Geschehen wirft. Dieser „Karl“ ist es dann auch, der bei einem kuriosen Vorfall anregt, einen „Verein der verhindert gewesenen Wartesaalpatrioten“ zu gründen.

Hintergrund ist ein technisch bedingter Zwischenaufenthalt des Kaiserpaares am Bahnhof Rittershausen (Oberbarmen). Eigentlich wollen Wilhelm II. und Auguste Viktoria möglichst ungestört nach Köln reisen. Aber Wuppertals Bevölkerung bekommt Wind von dem ungeplanten Zwischenstopp und steht Spalier, um „Heil dir im Siegerkranz!“ zu intonieren.

Wirklich gesehen hat wohl niemand den Kaiser, doch tagelang treffen Leserbriefe mit widersprüchlichen „Augenzeugenberichten“ ein. Zum Glück für die begierigen Bürger soll es nicht mehr lange dauern, bis das Kaiserpaar hochoffiziell die Städte an der Wupper besucht.