Der rote Bulli bringt Bewegung
Das NRW-Forum schreibt die Geschichte der Fotografie neu. Denn der Amerikaner Shore gab Fotostars wie Gursky und Ruff wichtige Impulse.
Düsseldorf. Der Amerikaner Stephen Shore war gerade mal 26Jahre alt, als er die Düsseldorfer Fotografin Hilla Becher 1973 im US-Staat Pennsylvania kennen lernte. Ihr Treffen war der Anfang eines neuen Kapitels in der Fotogeschichte, die erst jetzt im NRW-Forum aufgearbeitet wird. Nun muss die Becher-Klasse mit berühmten Vertretern wie Andreas Gursky, Thomas Struth und Thomas Ruff neu gesehen werden. Denn der Einfluss des Amerikaners auf ihre Kunst führte erst zu jenen verlockend schönen, poetischen Bildern, die der Kunstmarkt so schätzt.
Hilla entbrannte für Shores Farbfoto eines roten Bullis, der unspektakulär an einer Straßenecke steht. Ein banales Motiv, wie die Ausstellung zeigt, wäre da nicht die leicht milchige Farbigkeit, die so anders ist als das puristische Schwarz-Weiß der Wassertürme, mit denen Hilla und ihr Mann Bernd Becher 1972 in New York ihren Einstand gaben.
Der VW-Bus wurde zugleich zum Markenzeichen der damaligen Düsseldorfer Fotoszene. Der erste Bulli der Bechers war gelb, die späteren Wagen waren rot wie der von Stephen Shore. Noch heute steht ein alter, roter Bus, der rund 500000Kilometer gelaufen ist, vor Hillas Ateliertür. Fast alle Becher-Schüler kennen ihn, mussten sie doch darin eine Leiter und die Großformatkamera verstauen, bevor sie mitfahren durften. Nun liefert "Der rote Bulli" auch noch den Titel für die sensationelle Foto-Schau im NRW-Forum.
Stephen Shore fotografierte wie die Bechers mit der großen Kamera, die mehr sieht als das menschliche Auge. Seine Aufnahmen haben Atmosphäre, wirken fast romantisch, sind von einer melancholischen Zeitlosigkeit.
In Düsseldorf geschah damals etwas Erstaunliches. Der 1976 frisch berufene Kunstprofessor Bernd Becher und seine Frau rührten die Werbetrommel für ihren Kollegen Shore, empfahlen ihn 1977/78 an die Kunsthalle Düsseldorf und auf die Documenta6. Sie kauften früh seine Bilder und legten seine Bücher auch ihren Studenten ans Herz.
Damit förderten sie selbstlos den neuen Einfluss der Farbfotografie. Und die jungen Leute wie Candida Höfer, Thomas Ruff, Thomas Struth, Axel Hütte, Volker Döhne etc. stürzten sich auf Shores bahnbrechende Bilder. Gursky bezeichnete den ersten Sammelband zur amerikanischen Farbfotografie als seine "Bibel". 1983 erhielt die Becher-Klasse prompt eine eigene Farbentwicklungsmaschine.
Gursky machte 1984 am Klausenpass sein erstes farbiges Landschaftsfoto. Der Blick fällt auf die ansteigende Alm im Übergang zum kargen Bergmassiv. Es wurde der Erstling seiner "Sonntagsbilder" - dem Alltag entrückt wie der Spaziergänger auf dem Trampelpfad an der Ruhr. Gursky nahm das Schwimmbad in Ratingen auf. Thomas Ruff fotografierte im Schwarzwald bei Tanten und Omas herrlich altmodische Interieurs, Thomas Struth lief vor seiner Haustür in Düsseldorf-Bilk die Straßen ab.
Der Siegeszug der "Struffskys" begann in den frühen 80er Jahren. Den Hinweis auf die zahlreichen Anregungen durch Stephen Shore vergaßen sie allerdings geflissentlich. Rund 30 Jahre schien die Becher-Schule nur aus sich selbst geboren zu sein. Nun hat sie neben den Namensgebern einen weiteren Vater bekommen, der inzwischen 63Jahre alt ist und ab und zu bei einer Ausstellung in Düsseldorf gesichtet wird.
Die aktuelle Ausstellung ist daher eine Pioniertat. Die Kuratoren Werner Lippert und Christoph Schaden zeigen all die frühen Bilder der Becher-Klasse und setzen sie in Relation zu den Aufnahmen des Amerikaners.