Vor der DOSB-Versammlung „Der DOSB hat beim Thema Olympia nie seriös geführt“

Interview | DÜSSELDORF · NRW-Landessportbund-Chef Stefan Klett über marode Sportstätten, kein Geld für Trainer, die Probleme des DOSB und Olympia in NRW

Stefan Klett ist seit 2020 Präsident des Landessportbundes NRW.

Foto: LSB NRW

Stefan Klett (57) stammt aus Wipperfürth. Seit 2020 ist er als Nachfolger von Walter Schneeloch Präsident des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen. Klett ist Mitglied der CDU – und steht als Sportfunktionär unmittelbar vor der DOSB-Versammlung am Wochenende in Saarbrücken. Es gibt viel zu bereden.

Herr Klett, wie ist der Landessportbund in NRW politisch aufgestellt?

Stefan Klett: Wir sind das einzige Bundesland, in dem der Ministerpräsident zugleich Sportminister ist. Denn die Sportabteilung ist der Staatskanzlei angegliedert, mit einer Staatssekretärin konkret für Sport und Ehrenamt. Diese Konstellation führt seit 2017 dazu, dass wir auf echter Augenhöhe miteinander reden. Für Hendrik Wüst ist Sport wirklich ein wichtiges Thema.

Zeigen das auch die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen?

Klett: Wir müssen im Haushalt 2025 keine Kürzungen hinnehmen. Es gibt sogar ein bisschen mehr Geld aus den Mitteln von WestLotto. Damit sind wir sehr zufrieden, kämpfen dafür aber auch immer auf verschiedenen Ebenen mit vielen Argumenten.

Nach der Coronazeit darf der Landessportbund einen erfreulichen Aufwuchs feststellen. Wir haben jetzt die Marke von 5,32 Millionen Mitgliedern erreicht, das ist ein Allzeithoch, gerade viele Jugendliche und Kinder sind hinzugekommen. Während der Corona-Jahre ging es bis auf 4,9 Millionen Mitglieder hinunter. Nun haben wir aber beispielsweise bei den 11-Jährigen einen Organisationsgrad von fast 90 Prozent. Wir sind im DOSB das zweitgrößte Mitglied nach dem Deutschen Fußball-Bund. Bei der DOSB-Mitgliederversammlung an diesem Wochenende in Saarbrücken sind wir mit einer starken stimmberechtigten Delegation dabei.

Trotzdem ist nicht alles rosarot. Die Sportstätten sind teils katastrophal in einem Land, das Olympische Spiele nach NRW holen will. Wie passt das zusammen?

Klett: Der Zustand der Sportstätten ist in vielen Fällen wirklich gruselig, die stammen teilweise noch aus den 60er oder 70er Jahren, da besteht eindeutig extrem hoher Sanierungsbedarf. Der DOSB schätzt den Sanierungsstau auf bundesweit 30 Milliarden Euro. Wenn man das auf NRW runterbricht, sind wir bei etwa 6,5 Milliarden Euro.

Woher soll das Geld kommen?

Klett: Es gab ein tolles Programm „Moderne Sportstätte“ des Landes NRW, aufgelegt in einer Größenordnung von 300 Millionen Euro. Und dieses verfügbare Geld hat der Sport abseits aller Kämmerer selbst verteilt. Aber das reicht nicht. Am Ende wurden über 700 Millionen Euro von den Vereinen beantragt. Deswegen brauchen wir trotz angespannter Haushaltslage ein neues Programm, das auch den Kommunen die Möglichkeit gibt, ihre maroden Sportstätten zu modernisieren.

Was muss konkret her?

Klett: Wir können uns da in NRW gerne an dem alten Programm orientieren. Wir hatten eine hohe Erfolgsquote, es gab kaum Streitigkeiten. Da muss mit Blick auf die nächste Landtagswahl 2027 ein klares Signal kommen, in welche Richtung die Sportstätten-Sanierung geht. Für eine Olympia-Bewerbung von NRW würde das die Akzeptanz erheblich steigern. Was mich stört: Bei allen Diskussionen über bröckelnde Brücken und kaputte Infrastruktur bei Bahn oder Straßen kommt der Sport nie vor. Es gab viele Programme des Bundes zur Sanierung kommunaler Einrichtungen im Sport, im Bereich Jugend, Kinder und Kultur. Und es gab auch ein „Investitionspaket Sportstätten“. Das ist ohne Begründung und ohne Ankündigung mitten im Programm von der Bundesregierung gestrichen worden. Da fehlten am Ende deutschlandweit 420 Millionen Euro. Das ist peinlich.

Auch für Trainer ist das Geld immer knapp. Hat sich daran etwas geändert?

Klett: Leider hat sich da noch nicht viel getan. Im Gegenteil: Die Klagen sind größer als zuvor, wir haben da längst ein Motivationsproblem. Athletinnen und Athleten sind aber immer nur so gut, wie wir die Rahmenbedingungen gestalten. Die Finanzierung unserer drei Olympiastützpunkte NRW in Köln, Essen und Dortmund durch den Bund ist immer noch nicht geregelt. Und bei den Trainerinnen und Trainern sieht es nicht besser aus. Mit 40.000 Euro brutto pro Jahr und befristeten Jahresverträgen hat man keinerlei Verlässlichkeit. Auch das ist ein politischer Kampf, das Thema ist bei uns in NRW im Koalitionsvertrag hinterlegt.

Oft wurde über Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen geschrieben. Ist das besser geworden?

Klett: Bewegung führt zu besserer Bildung. Da gibt es tausende Untersuchungen von Sporthochschulen, die nachweisen, dass die Synapsen besser funktionieren, wenn Kinder sich bewegen und Sport treiben. Exakt hier liegt unsere große Chance bei der Gestaltung des Ganztags in Schulen. Rund 70 Prozent der Sportangebote im offenen Ganztag werden bereits durch unsere Sportvereine und qualifizierte Übungsleitungen geleistet. Dass der gesetzliche Anspruch ab 2026 kommt, stellt uns vor gewaltige Aufgaben in Sachen Räume, Infrastruktur, Personal und Geld. Wir blicken mit großer Spannung darauf, wie das vom Land geregelt werden soll. Wir brauchen jetzt schnell Klarheit in den Strukturen für den Offenen Ganztag.

Gibt es denn ausreichend Übungsleitungen?

Klett: Der Mangel an qualifizierten Übungsleitungen ist leider da, eine Spätfolge von Corona. Wir versuchen aber mit sehr viel Wertschätzung über viele Programme, dem entgegen zu wirken. Sporthelfer zum Beispiel - ein Megaprogramm. In 1000 weiterführenden Schulen jährlich werden etwa 8000 Schülerinnen und Schüler als Sporthelfer ausgebildet, die dann wiederum den Sportlehrern im Unterricht oder in ihrem eigenen Verein den dortigen Übungsleitungen hilfreiche Unterstützung geben. Wobei man auch sagen muss: Der Mangel an Sportlehrern in Schulen ist inzwischen eklatant.

Stichwort Olympia und Paralympische Spiele. Wie ernst kann man noch nehmen, dass sich NRW tatsächlich für Olympia bewerben will?

Klett: Sehr ernst. Ich habe selten einen so großen politischen Konsens erlebt. Die Spiele in Paris haben spürbar etwas hinterlassen. Auch bei Ministerpräsident Hendrik Wüst. Der Landessportbund NRW hatte in Frankreich mit 180 Teilnehmenden das größte Jugendcamp der gesamten Olympischen und Paralympischen Spiele. Wir sind in NRW von der Struktur her stark, wir sind vom Sport her stark, wir sind von der Begeisterung der Bevölkerung stark. Die 14 Oberbürgermeister und Landräte, die Olympia vorantreiben wollen in ihren Städten, stehen noch immer unglaublich aktiv dahinter.

Andere Konkurrenten sind auch willig. NRW steht längst nicht mehr allein da.

Klett: Richtig, es handelt sich um eine Wettbewerbssituation. München, Berlin und Nordrhein-Westfalen mit der Region Rhein-Ruhr machen sich jetzt hübsch. Und im Sommer 2025 wird das dann amtierende DOSB-Präsidium eine Empfehlung abgeben. Wir überlegen, in NRW ein temporäres Leichtathletik-Stadion zu errichten. Es gibt viele Gebiete in Stadtrandbezirken oder in den Übergängen zwischen ländlichen und städtischen Gebieten, wo man so eine Idee forcieren könnte. Ich sehe NRW vorne. Wir haben die notwendigen Sportstätten und unter anderem bei der Fußball-EM und Handball-EM gezeigt, dass wir große Sportveranstaltungen können. Nächstes Jahr haben wir die World University Games im Juli bei uns. Und: Es gibt ja diesen Ansatz des großen Olympiastadions gar nicht mehr. Paris hat ja vorgemacht, dass eine Eröffnungsfeier nicht in einem Stadion stattfinden muss. Genial.

Olympische Spiele wären ein Treiber für alle Probleme, die wir zuvor angesprochen haben.

Klett: Absolut. Man sieht das ja in den Ländern, die Olympische Spiele veranstaltet haben. Die sind auch, was die Nachhaltigkeit ihrer sportlichen Spitzenleistungen angeht, besser geblieben.

Wie sehen Sie die Konkurrenten München und Berlin?

Klett: Kurz gesagt: München müsste alle Sportstätten neu konstruieren, dort ist alles veraltet, ein 50 Jahre alter Olympiapark müsste sich erneuern. Da nützt auch die unfaire Einmischung durch den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder nichts. Und in Berlin sehe ich überhaupt keine Akzeptanz in der Bevölkerung.

Zuletzt war Michael Mronz der Treiber für NRW. Der ist inzwischen Sportfunktionär beim IOC und offenbar neutral. Wer aktiviert die Bewerbung?

Klett: Michael Mronz hat jetzt eine andere Rolle und sich folgerichtig komplett aus der Rhein Ruhr GmbH zurückgezogen. Aber er ist natürlich extrem vernetzt, auch weltweit. Er muss sich natürlich da auch ein bisschen zurückhalten. Andererseits können wir uns, glaube ich, in einem Punkt sicher sein: Er wird im erlaubten Rahmen alles daran setzen, dass NRW eine große Rolle spielt.

Der DOSB gibt aber ein schreckliches Bild ab. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Klett: Ein Trauerspiel. Wir brauchen eine klar strukturierte Verbandsspitze und können uns nach der Freistellung des Vorstandsvorsitzenden Burmester keine Hängepartie erlauben. Denn diese DOSB-Führung ist den Erwartungen leider nicht gerecht geworden. Alles das, was sportpolitisch vom DOSB angestoßen wurde, geht zäh voran. Da liegt nahezu alles auf Eis. Jetzt braucht es wirklich verantwortliche Personen, die wieder richtig Gas geben. Wir haben eine Olympiabewerbung, die in Teilen nicht vernünftig geregelt ist. Der DOSB hat in diesem Thema nie seriös geführt. Dort sind Leute über die noch bestehende Ampelregierung in ihr Amt gerutscht, die ihre Kontakte kaum genutzt haben. So wurde das Sportfördergesetz komplett zerredet und wird jetzt auch erst mal nicht kommen, weil es sich zu einem Monstrum an Regelwerk entwickelt hat. Daran wird wohl auch die aktuelle Einbringung in den Bundestag durch die SPD-Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen nichts ändern. Schrecklich! Da ist der DOSB völlig unter seinen Möglichkeiten geblieben. Und auch der so entscheidende Kontakt mit dem IOC ist nicht wirklich belastbar.

Sie werden Ihre Kritik in Saarbrücken anbringen?

Klett: Davon können Sie ausgehen. Wir haben es noch nicht mal geschafft, den „Letter of Intent“ als grundlegende Absichtserklärung für die Olympischen Spiele über den Bundeskanzler abzuschicken. Ohne dieses Schreiben wird jedoch das IOC mit Deutschland keinen sogenannten „Continuous Dialogue“ führen. Das heißt, zum heutigen Stand sind wir noch nicht mal anerkannter Gesprächspartner für eine Bewerbung.

Deswegen wundert mich Ihr Olympia-Optimismus. Ohne eine klare Bewerbung mit orchestrierter Begeisterung bei starken Strukturen ist Deutschland doch chancenlos.

Klett: Es wird höchste Zeit, das Tempo anzuheben. Mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl im Februar müssen wir außerdem schauen, ob die Konstellation mit der nächsten Regierung und der DOSB-Führung noch passt. Denn es gibt keinen Zweifel, dass sich der deutsche Sport nach der Wahl neu ausrichten muss. Und wenn die Entscheidung dann gefallen ist, mit welcher Region wir ins Rennen gehen, sollten alle Beteiligten mit Überzeugung an einem Strang ziehen - eine weitere ganz große Herausforderung…